Ausgelöscht
Wände waren verspiegelt. Wo immer Clevenger hinschaute, sah er sich selbst bedeckt mit dem Blut, das aus Baxters Halsschlagader gespritzt war. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
Coady schloss mit seiner in einem Latexhandschuh steckenden Hand die Tür hinter ihnen. »Das Teppichmesser«, sagte er und zeigte auf das Waschbecken.
Clevenger schaute in das Becken, sah das Teppichmesser und die blutige Klinge. »Sie war Snows Geliebte«, sagte er, ohne aufzuschauen.
»Wovon reden Sie da?«
»Grace Baxter und Snow. Sie hatten eine Affäre.«
»Das hat sie Ihnen erzählt?«
»Nein«, sagte Clevenger und sah Coady ins Gesicht. »Ich habe heute mit J. T. Heller gesprochen. Snow hat ihm davon erzählt.«
Coady sah aus, als würde sein Verstand auf Hochtouren arbeiten, um eine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem zu finden. »Vielleicht hat sie gehört, dass ihr Liebhaber sich das Leben genommen hat, und da ist sie durchgedreht und …«
»Möglich«, gestand Clevenger zu. Er überlegte kurz. »Wieso sind Sie sicher, dass es nicht der Ehemann war?«
»Was?«
»Die häufigste Methode, mit der Frauen Selbstmord begehen, ist eine Überdosis«, erklärte Clevenger. »Manchmal schneiden sie sich die Pulsadern auf. Aber den Hals und ein einzelner horizontaler Schnitt an jedem Handgelenk? Das wäre einen Artikel in einer psychiatrischen Fachzeitschrift wert. Wenn jemand sich die Halsschlagadern aufschneidet, dann tut er es aus einer Psychose heraus – der Wahnvorstellung, dass das Blut des Teufels durch seine Adern fließt, zum Beispiel. Ich habe bei Baxter keine Anzeichen von einer Psychose bemerkt.«
»Seien wir doch mal ehrlich«, sagte Coady. »Sie haben überhaupt keine Anzeichen hierfür festgestellt.«
Die Worte trafen Clevenger wie ein Tritt in den Magen. Er brauchte einen Moment, um sich zu erholen. »Nein«, gestand er schließlich. »Habe ich nicht. Aber das sagt auch schon einiges aus.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Coady. »Das hier kann nicht sein, weil der allwissende Dr. Frank Clevenger es nicht vorhergesehen hat. Wir dürfen das Offensichtliche nicht akzeptieren, wenn es bedeutet, dass Sie offensichtlich Mist gebaut haben.«
»Er ist über und über mit Blut beschmiert.«
»Er ist hereingekommen, hat die Frau, mit der er seit zwölf Jahren verheiratet ist, auf dem Bett ausbluten sehen und hat versucht, sie wieder zu beleben. Als wir eintrafen, war sie noch warm. Kein Puls, aber noch warm.«
Clevenger antwortete nicht.
»Was für ein Motiv soll er denn gehabt haben?«, wollte Coady wissen. »Eifersucht? Snows Tod war heute in allen Nachrichten. Ihm muss doch klar gewesen sein, dass Snow kein Rivale mehr war.« Seine Worte schienen ihm selbst ein wenig zynisch vorzukommen.
»Einverstanden«, sagte Clevenger. »Snow war ihm nicht mehr im Weg.«
»Oh, jetzt hat er also einen Doppelmord auf dem Gewissen. Wir haben einen Bankier, eine Stütze der Gemeinde, der im Blutrausch erst in aller Herrgottsfrühe den Geliebten seiner Frau umbringt und dann am Frühabend seine Frau umlegt. Und es ist nicht etwa so, dass er sie zusammen in flagranti erwischt hätte, sich eine Pistole gegriffen und sie erschossen hätte. Nein, das hier geschah nicht im Affekt. Er hat
geplant
, die beiden am selben Tag abzumurksen.« Er machte eine Kunstpause. »Und
das
wäre einen Artikel in einer kriminologischen Fachzeitschrift wert.«
»Vielleicht hat er die Sache nicht gut durchdacht«, sagte Clevenger. Er lenkte ein. »Hören Sie, ich sage ja nicht, dass er zweifelsfrei die Finger im Spiel hat. Aber seine Frau hat ihn betrogen. Sie und ihr Liebhaber sind tot. Und er ist von Kopf bis Fuß mit Blut beschmiert.«
»Okay«, sagte Coady abfällig. »Ich werde ihn offiziell nicht als möglichen Verdächtigen ausschließen.«
»Nur offiziell?«
»Wie wär’s, wenn ich meine Ermittlungen so führe, wie ich es für richtig halte? Ich hatte Ihnen eine einzige Frage gestellt: War John Snow psychologisch fähig, Selbstmord zu begehen? Wenn Sie bei diesem Fall mitmachen wollen, dann ist die Beantwortung dieser Frage der einzige Beitrag zu den Ermittlungen, den ich von Ihnen erwarte. Ob wir Baxters Tod als Selbstmord behandeln oder nicht, geht Sie nichts an.«
»Schon verstanden«, sagte Clevenger.
Coady merkte es sofort, wenn jemand ihn nicht ernst nahm. »Sie sollten sich zurückhalten. Sie haben ein persönliches Interesse daran, dass es
kein
Selbstmord war. Denn wenn es einer war, dann könnten Sie einer Klage wegen
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