Ausgelöscht
Herzkammer. »Die Herzmassage.«
»Hurra«, sagte Coady. »Richtig toll. Was ist mit seinem Handschuh?«, fragte er Wolfe. »Sagten Sie nicht, dass da Schmauchspuren dran wären?«
»Es finden sich in der Tat Pulverspuren am Leder«, bestätigte Wolfe. »Doch auch hier wurde das Muster durch Vermischung mit Flüssigkeiten – Blut, Transfusionen, Antiseptika – in der Notaufnahme zerstört. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob die Pulverrückstände entstanden sind, als Dr. Snow die Waffe in der Hand gehalten und abgefeuert hat, oder als jemand anders den Abzug gedrückt und er versucht hat, die Waffe wegzustoßen.«
»Mit anderen Worten, wir haben absolut nichts in der Hand«, sagte Coady.
»Wir haben noch immer genauso viel oder wenig, wie wir hatten, als wir am Telefon miteinander gesprochen haben«, erwiderte Wolfe. »Nichts Schlüssiges.«
Clevenger beugte sich vor, um einen besseren Blick auf Snows Fingernägel zu haben, die im grellen Lichtschein der Neonröhren schimmerten. »Klarer Nagellack, kaum zerkratzt oder abgeplatzt.«
»Wenn er auch eine Pediküre hatte, dann könnten wir uns zumindest einer Sache, die ihn betrifft, sicher sein«, feixte Coady mit einem Blick auf Snows Füße.
Wolfe beachtete Coady nicht. »Hatten Sie da einen Gedanken, an dem Sie uns teilhaben lassen wollten, Doktor?«, fragte er.
»Warum sollte sich ein Mann, der depressiv genug ist, sich selbst zu erschießen, einen Tag – allerhöchstens zwei – vor besagtem Selbstmord die Nägel maniküren lassen?«, fragte Clevenger.
Coady schürzte nachdenklich die Lippen. »In meinem ersten Dienstjahr wurde ich zum Hancock-Tower geschickt. Ein Kerl im Smoking auf ’ner Weihnachtsfeier drohte damit, einen Köpfer vom Dach zu machen. Fliege, Manschettenknöpfe. Ganz schick in Schale geschmissen. Ich wette, dessen Nägel waren auch auf Hochglanz poliert.«
»Guter Einwand«, gestand Clevenger.
»Ich bin kein Psychiater«, fuhr Coady fort, »aber soweit ich sagen kann, ist das Verhalten von Leuten oft sehr widersprüchlich. Ein Mann liebt seine Frau so sehr, dass er sie umbringt, als sie ihm sagt, sie würde ihn verlassen. Er bringt sie um, weil er den Gedanken nicht ertragen kann, sie zu verlieren. Das ergibt keinen Sinn, stimmt’s? Denn er wird wohl kaum noch viel mit ihr unternehmen, wenn sie in der Kiste liegt und er lebenslänglich im Knast sitzt.«
»Oberflächlich betrachtet ergibt es tatsächlich keinen Sinn«, sagte Clevenger.
»Oberflächlich betrachtet, klar doch. Aber wenn jemand wie Sie ein bisschen – oder auch sehr viel – tiefer vordringt, vielleicht fügen sich die Puzzleteile dann zusammen. Sie können sich in den Mörder hineinversetzen. Die Welt mit seinen Augen sehen. Deshalb habe ich Sie dazugeholt. Tun Sie das mit unserem Snow hier, und ich denke, wir werden schon bald verstehen, warum er sich in der Gasse das Lebenslicht ausgeblasen hat, manikürte Fingernägel hin oder her. Dann hab ich was in der Hand, um die Presse glücklich zu machen, und kann mich einem Fall mit einem echten Opfer zuwenden.«
»Nicht dass Sie hier jemanden beeinflussen wollen«, bemerkte Wolfe.
»Nichts läge mir ferner«, gab Coady zurück.
Zumindest gab Coady nicht vor, unvoreingenommen zu sein, dachte Clevenger bei sich. »Sie haben eine Lieblingstheorie – dass Snow Selbstmord begangen hat«, sagte er. »Haben Sie auch eine Theorie darüber, warum er es getan hat?«
»Wie ich schon dem Professor hier sagte«, erwiderte Coady, »ich denke, er hatte nicht den Mumm, in den OP zu gehen. Er hat Muffensausen gekriegt.«
»Ein Augenblick der Feigheit«, sagte Clevenger. »Der Gedanke war mir auch schon gekommen.« Er nickte nachdenklich. »Aber wenn er sich aus einer plötzlichen Eingebung heraus erschossen hat, wie erklären wir dann, dass er überhaupt die Pistole bei sich hatte?«
»Er hatte einen Waffenschein für das Tragen einer Pistole. Wahrscheinlich wollte er die Pistole bei sich haben, wenn er aus der Operation aufwachte.«
»Warum?«
»Er war reich«, sagte Coady. »Seine Firma hat Geschäfte mit Rüstungsunternehmen gemacht. Er …«
»Er könnte sich bedroht gefühlt haben«, warf Wolfe ein. »Nicht dass es mir zusteht, zu spekulieren.«
»Alles ist möglich«, erwiderte Coady bissig.
»Ist er mit seinem eigenen Wagen zum Krankenhaus gefahren?«, fragte Clevenger.
»Nein«, antwortete Coady. »Er hatte während der letzten siebzehn Jahre einen Chauffeur. Ein tschechischer Immigrant namens Pavel Blazek. Er
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