Ausgesaugt
langsam mürbe.
Denn das ist gar nicht meine Art. Eigentlich.
Weil es nämlich Chubby Freeze ist, der vor mir im Dreck liegt. Um seine vermisste Tochter weint. Mich ansieht, als ob ich ihm helfen könnte.
Da weiß ich, wie die Dinge zwischen uns liegen. Ich werde ihn nicht töten.
Ich sehe zur brüchigen Decke auf. Ich denke an die Tausende von Tonnen Beton und Stahl über uns, an die Stadt, an den Krieg, den ich angezettelt habe. Und ich denke an das, was mich erwarten würde, sollte ich mich tatsächlich entschließen, wieder an die Oberfläche zu kriechen, um dort herumzuschnüffeln.
Chubby starrt mich erwartungsvoll an.
Ich betrachte die Zigarette zwischen meinen Fingern.
– Chubby, da kann ich dir nicht helfen.
Er spuckt in das schmutzige Taschentuch, reibt sich damit über die Stirn und hinterlässt eine Dreckspur.
– Ja. Natürlich. Das war nicht anders zu erwarten.
Ich zucke mit den Schultern.
– In deiner Branche solltest du doch eigentlich massenweise Leute kennen, die dir bei so was zur Hand gehen können.
Er hebt die Augenbrauen und atmet lang und müde aus.
– Klar. In der pornografischen Industrie gibt es eine Menge Mädchen, die von heute auf morgen verschwinden oder am liebsten verschwinden würden.
– Und die hast du doch auch alle wiedergefunden.
– Stimmt.
– Also kennst du gewisse Leute.
– Stimmt.
– Chubby, du kennst doch so ziemlich jeden.
Er lächelt kaum merklich. Das erste Lächeln überhaupt, seit er hier unten ist.
– Stimmt. Das ist wahr. Und doch...
Er wedelt mit dem Taschentuch durch den abgewrackten Verschlag.
– ... bin ich hier.
Er deutet mit dem Kinn auf Dallas, der außer einem tiefen Atmen keine Regung zeigt.
– Mit meinem Lieblingsgespielen.
Er berührt mit dem Taschentuch seine Mundwinkel, erst den einen, dann den anderen.
– In der Höhle des Löwen.
Er schüttelt das Tuch aus, faltet es gekonnt zusammen und steckt es wieder ein. Schmutzig oder nicht – es sitzt perfekt.
– Ist es denn nicht verwunderlich, weshalb ich so etwas tue? Warum ich dieses Risiko eingehe? Obwohl ich doch jeden beliebigen Ermittler engagieren könnte?
Das Leben unter dem Himmel wird von der Sonne beherrscht. In ihrem Schatten sind wir Infizierten nur Marionetten. Wir verbergen unsere wahre Natur. Verbergen sie vor der Welt und vor uns selbst. Doch hier unten bin ich fast völlig ich selbst. Entspreche meiner Natur. Bin fast das Raubtier, zu dem mich das Vyrus gerne machen würde. Ein einfaches Leben, im Gegensatz zu dem an der Oberfläche. Das war immer schon hart, selbst vor meiner Infektion.
Dieser Mann vor mir auf dem Boden hat alles verloren. Jetzt sucht er verzweifelt nach einem Köder, mit dem er mich an die Oberfläche locken kann. An die frische Luft. An der ich ganz schnell ersticken könnte.
Ich räuspere mich. Meine Kehle ist staubtrocken.
– Ich verstehe, Chubby. Aber das ändert gar nichts. Sie hat Ärger mit meinen Leuten, treibt sich mit den Infizierten rum. Da kann ich überhaupt nichts tun. Schlimm für sie, aber nichts, was mich auch nur im Geringsten betrifft. Scheiße, ich wusste ja nicht mal, dass du eine Tochter hast.
Er greift in seine Tasche und zieht ein Foto heraus, das er zwischen Daumen und Zeigefinger hält.
– Willst du sie mal sehen?
Ich hebe die Hand.
– Das ändert auch nichts.
Er hält mir das Bild hin.
– Tu mir den Gefallen. Der Eitelkeit eines Vaters zuliebe.
Ich beiße nicht an.
Er wedelt mit dem Foto, so dass es vor meinem Auge hin und her tanzt.
Also sehe ich es mir in Gottes Namen an, bringe es hinter mich, damit ich noch einmal laut und deutlich nein sagen kann. Hoffentlich haut er dann endlich ab und lässt mich in Frieden.
Er hebt die Schultern.
– Ich kann nicht sagen, dass ich sonderlich schockiert war. Liegt wohl an meiner Branche, wie du so schön gesagt hast. Glaub mir, ich weiß so ziemlich alles über die Sache mit den Bienchen und den Blümchen. Ich war nicht einmal besonders enttäuscht. Da ich insgesamt nicht allzu viel Zeit mit meiner Tochter verbracht habe, kann ich es mir nicht leisten, ihre Präferenzen in Frage zu stellen – nicht wenn ich eine wie auch immer geartete Beziehung zu ihr aufbauen will. Trotzdem, als Vater macht man sich so seine Gedanken. Zunächst dachte ich, sie käme aus den naheliegenden Gründen zu mir. In diesem Fall hätte ich ihr eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem vorschlagen können. Aber erstaunlicherweise hielt sie es nicht im
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