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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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über seiner Taille wirft. Oder über dem, was bei einem so fetten Mann der Taille eben am nächsten kommt.
    – Das ist ein ausrangierter Anzug von letztem Jahr. Normalerweise spende ich sie der Wohlfahrt, sobald meine neue Garderobe aus Hongkong eintrifft, aber in weiser Voraussicht halte ich immer einen oder zwei Anzüge zurück. Für die Drecksarbeit.
    Ich nicke Dallas zu, dem Schönling mit den wohlgeformten Muskelpaketen und der Kanone.
    – Das bin ich jetzt also für dich, Drecksarbeit ?
    Seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat sich etwas mehr Grau in Chubbys Afro geschlichen, die Speckrollen scheinen etwas üppiger geworden zu sein und die fünfknöpfige Anzugweste hält sie nur mit Mühe im Zaum. Er hat weitere Falten um die Augen bekommen. Um diese Jahreszeit ist es in der Kanalisation ziemlich kalt, und unser Atem hinterlässt weiße Dampfwölkchen. Nichtsdestotrotz hängt Chubbys Mantel über Dallas’ freiem Arm, der nicht die Pistole hält. Der Fettsack ist beim Abstieg regelrecht ins Schwitzen gekommen.
    Er zieht ein Taschentuch heraus. Im Gegensatz zu dem zur Krawatte passenden Einstecktuch aus blauweißer Seide ist es aus einfacher weißer Baumwolle.
    – Ich weiß nicht so recht, wie ich dich dieser Tage bezeichnen soll, Joe. Unsere letzte Zusammenkunft fand vor geraumer Zeit statt, so wie scheinbar alle deine sozialen Kontakte. Daher wäre alles, was ich über die derzeitige Natur deiner Beschäftigung sagen kann, reine Spekulation.
    Der Verschlag wird von einer Leuchtstofflampe erhellt, die Q-line-Dave aus einem Abbruchhaus an der Oberfläche abgestaubt hat. Sie hängt an einem Kleiderhaken, der um einen alten Holzbalken gebogen ist. Der Balken stützt auch die verbeulten, durchweichten Gipskartonplatten über unseren Köpfen. Der Strom stammt aus einer langen Kette hintereinander gesteckter Verlängerungskabel, die sich durch die Hüttensiedlung schlängelt. Die Kabel sind an manchen Stellen mit Klebeband umwickelt, liegen jedoch größtenteils blank und verschwinden dann irgendwo in der Dunkelheit. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, herauszufinden, woher der Strom letztendlich kommt. Das käme einer Expedition zu den Quellen des Nils gleich. Ungefähr ein Dutzend Mal in der Woche herrscht Stromausfall, weil irgendjemand im Dunkeln über die Kabel stolpert. Hier unten haben sie nur vor einem Angst: dass irgendwann ein Techniker der Stadtwerke den Energieverlust bemerkt und den Saft abstellt.
    Das fände ich ja nicht so schlimm – so viel gibt’s hier nun auch wieder nicht zu sehen. Aber ohne Licht könnte ich die vergammelten Taschenbücher nicht mehr lesen, die hier die Runde machen. Sie stellen mehr oder weniger mein einziges Mittel gegen die Langeweile dar. Das Licht ist hell genug, und so erkenne ich neben den neuen Fältchen um Chubbys Augen auch, dass die Augen selbst rotgeädert sind.
    Ich greife in eine der aufgesetzten Taschen der Arbeitsjacke, die ich einem Halbstarken abgenommen habe. Er spazierte abenteuerlustig und mit einer Tasche voll klirrender Weinflaschen die Gleise entlang. Wollte vermutlich mal was richtig Abgefahrenes erleben, das er seinen Kumpels erzählen konnte. Er hat uns in seiner Unterwäsche wieder verlassen. Jemand, der netter war als ich, hat ihm gelbe Plastik-Flip-Flops gegeben, damit er sich die Füße nicht an den Glasscherben und spitzen Steinen neben den Gleisen zerschnitt. Er war ziemlich groß, und die Jacke habe ich bekommen, weil ich der Einzige war, dem sie passte. Oder andersherum: Weil ich der Größte hier unten bin, haben mir die anderen die Jacke freiwillig abgetreten. Ich hatte mal eine andere Jacke. Diese Jacke war so ziemlich das einzige meiner Besitztümer, das mir etwas bedeutet hat. Ich habe sie oben zurückgelassen.
    An diese Jacke will ich mich lieber nicht erinnern. Auch nicht an diejenige, die sie für mich aufbewahrt. Das lenkt mich nur ab. Und Ablenkung kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen. Da mich Dallas nicht gefilzt hat, scheint er auch nicht besonders glücklich darüber zu sein, dass ich meine Hand in die Jackentasche stecke, weshalb er mir die Pistole etwas deutlicher unter die Nase hält.
    Trotzdem stecke ich die Hand in die Tasche.
    Dallas lässt den Lauf ein bisschen hin und her pendeln. Es sieht aus, als würde die Pistole den Kopf schütteln.
    Ich nicke ihm zu.
    – Mach ruhig, drück ab.
    Ich ziehe die Hand wieder aus der Tasche.
    – Lieber eine Kugel kassieren als noch eine weitere Sekunde ohne

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