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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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ganz allein hier unten hat dich irgendwie komisch werden lassen.
    Wieder dieses Lachen.
    – Kumpel, ich bin das einzig Wahre. Oder zumindest ziemlich nahe dran. Das Ende der Fahnenstange, Mann.
    Er sitzt in der Hocke, seine Knie ragen bis zu den Ohren und die Ellbogen stehen spitz nach außen. So sieht er aus wie eine Spinne, die man mit den falschen Chemikalien besprüht hat. Jetzt richtet er sich auf, die Spinne verwandelt sich in ein Skelett, das sich aus den eigenen verstreuten Knochen wieder zusammensetzt.
    – Wenn du die Zukunft sehen willst, Kumpel, dann musst du mir einfach nur in die Augen schauen.
    Was ich prompt tue. Aber da ist nichts zu sehen. Sie sind völlig dunkel, dunkler als die tiefsten Tunnel unter unseren Füßen. So eine Schwärze habe ich nur einmal zuvor gesehen. Ich blicke ihm in die Augen, und etwas taucht darin auf.
    Eine kalte Lanze bohrt sich durch die Hitze, die von ihm ausgeht.
    Ich trete zurück, lasse die Zigarette fallen und greife nach meiner Pistole.
    – Mach ruhig, Kumpel, hol das Ding raus. Wird dir aber nichts nützen.
    Er raucht die zweite Hälfte der Zigarette und atmet aus.
    – Wir tragen ihn alle in uns, Kumpel. Er wartet nur darauf, dass wir ihn rauslassen. Er braucht nur eine kleine Ermunterung.
    Ich trete einen weiteren Schritt zurück.
    – Es ist stockdunkel hier. Ich hab gar nichts gesehen. Du bist vollkommen verrückt.
    Er hebt den schartigen Knochen, der seinen Finger darstellen soll.
    – Zweimal richtig beobachtet, einmal falsch, Kumpel. Gar nicht schlecht, zwei von drei. Aber da, wo du falsch liegst, liegst du richtig falsch, Kumpel. Ist ’ne glatte Lüge.
    Meine Hand ruht immer noch auf der Waffe. Sie ruht da ganz gern.
    – Du bist verrückt. Du weißt ja nicht, was du da redest. Ich hab keine Ahnung, an was du dabei denkst.
    Er sieht zu den Lüftungsschächten auf.
    – Wer, ich? Kumpel, ich denke an das, an was ich immer denke. Ans Tageslicht.
    – Dann denkst du an den Tod.
    Er sieht mich an.
    – Dafür ist es zu spät.
    Er geht einen Schritt auf mich zu.
    – Hey, Kumpel, weißt du, warum wir innerlich brennen? Warum wir so heiß werden, wenn wir das Vyrus endlich annehmen?
    Ich trete einen Schritt zurück.
    Er kommt näher.
    – Weil er in uns wächst, Kumpel. Und er ist so kalt, dass es uns die Hitze aus dem Körper treibt. Mann, in meinen Eingeweiden herrscht tiefster Winter.
    Ich verziehe mich. Ich gehe rückwärts, denn bekanntlich soll man einem Irren nicht den Rücken zukehren. Aber ich trete die Flucht an.
    – In dir ist gar nichts außer blankem Irrsinn. Da wächst nichts, bloß dein eigenes erbärmliches Ende.
    Er folgt mir. Bei jedem Schritt leuchtet sein Körper im Dunklen auf.
    – Du hast ihn auch in dir. Bleib hier, lass ihn raus. Dafür sind wir hier. Um zu unserer wahren Natur zu werden, Kumpel.
    Jetzt gehe ich nicht mehr rückwärts. Ich laufe einfach los. Vorwärts.
    – In mir ist gar nichts, Alter. Ich bin infiziert, nicht besessen. Ich bin krank, aber ich bin immer noch ich.
    Katzenlachen hinter mir.
    – Das sag ich doch die ganze Zeit, Kumpel. Das ist ja der Witz an der ganzen Sache. Du bist er. Wir sind, was in uns ist. Du musst nur dran arbeiten, damit er auch rauskommt.
    Ich habe die Gleise erreicht. Mein Blick folgt ihnen, bis sie sich in der Dunkelheit verlieren. Sie treffen sich an einem Punkt, den ich noch nicht erkennen kann.
    Er ist verrückt. Das war keine Lüge.
    Es ist stockdunkel hier unten. Das war auch keine Lüge.
    Und ich habe rein gar nichts in seinen Augen gesehen.
    Die Enklave ist übergeschnappt. Völlig durchgeknallt. Und selbst die haben ihn rausgeschmissen, weil er ausgetickt ist und ein paar seiner Brüder und Schwestern umgebracht hat. Er ist der Irrste der Irren. Was er sagt, hat keine Bedeutung. Er ist wahnsinnig und hungert im Dunkeln vor sich hin, und da denkt er sich Geschichten aus, um sich selbst zu erschrecken. Der Schwarze Mann fantasiert sich Gespenster zurecht, von denen er dann heimgesucht wird.
    Geister.
    Möglicherweise hab ich vor langer Zeit mal etwas gesehen, das ich mir nicht erklären konnte. Das heißt noch lange nicht, dass es Wirklichkeit ist. Ein Hirngespinst im Dunkeln ist nicht die Realität. Und wenn ein Verrückter behauptet, dass tief in unserem Innersten ein vernunftloser, flatternder schwarzer Schatten lauert, ist das erst recht ein Grund, das alles nicht zu glauben.
    Der einzige Killer in mir ist der, mit dem ich geboren wurde.
    Ich habe nichts in seinen Augen gesehen.

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