Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
Vom Netzwerk:
ein Loch in seine Kehle stechen. Die letzten, kräftigen Blutstöße aus der Halsschlagader fließen fast von selbst in meine Kehle. Dann hat er’s hinter sich, und ich muss meine Lippen fest um die Wunde schließen und kräftig saugen. Als ich mich wieder von ihm löse, schmatzt es wie in dem verstopften Abwasserrohr ganz in der Nähe.
    Ob ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich gerade einen armen Teufel umgebracht habe, der das Einzige, das ihm etwas bedeutete, an einen noch ärmeren Teufel verloren und darüber den Verstand verloren hat? Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen. Aber wenn ich daran denke, wo ich in meinem Leben schon überall gewesen bin, wo ich jetzt eigentlich sein könnte, und wie viel Scheiße ich im Laufe der Jahre gebaut habe, um schließlich hier unten zu landen, dann geht’s mir noch viel schlechter.
    Das soll jetzt nicht heißen, ich würde mich für was Besseres halten; aber ich bin schon verdammt tief gesunken. Selbst wenn es meine eigene Schuld ist. Wäre ich der Typ, der auch nur ab und zu Kompromisse macht, ginge es mir jetzt wahrscheinlich bedeutend besser.
    Aber egal.
    Um jemand anders sein zu können, müsste ich auch alles um mich herum ändern. Wäre ich jemand anders, hätte ich niemals so lange durchgehalten. Wäre ich jemand anders, hätte sie mich ziemlich sicher nie eines Blickes gewürdigt.
    Diese Erinnerungen lassen das Blut des Typen, das ich im Dunkeln trinke, in meinem Mund zu Essig werden. Ich trinke trotzdem weiter, ich bin ja nicht blöd. Man soll nichts verkommen lassen.
    Nachdem ich so viel getrunken habe, wie ich kann, rolle ich die Leiche auf das schmatzende Geräusch zu und warte, bis die reißende Strömung sie ergreift. Ich lasse den Fuß des Toten los, und er wird in die Tiefe gerissen. Dann taste ich mich an der Wand entlang um das Loch herum und mache mich auf den Rückweg. Zum Glück ist es stockdunkel und ich kann mich nicht sehen. Dem Blut nach zu urteilen, das an meinem Mund, meinen Wangen, meinem Kinn und am Hals klebt, brauche ich nicht in den Spiegel zu schauen, um zu wissen, wie übel ich aussehe. Sobald ich wieder im Licht bin, werd ich mich saubermachen. Na ja, ein bisschen zumindest.
    Hier unten ist es völlig ausreichend, wenn man annähernd menschlich rüberkommt.
     
    Über die Kanalisation gibt’s eigentlich nicht viel zu erzählen.
    Wenn sich ein Mann entschließt, hier unten zu hausen, dann kann man sich die Gründe dafür schnell zusammenreimen.
    Irgendwie muss dieser Mann Scheiße gebaut haben. Und das nicht nur einmal. Wahrscheinlich hat er Feinde. Viele Feinde. Und offensichtlich auch gute Gründe, weshalb er nicht so weit weg wie möglich rennt. Grund Nummer eins: Er hat die Stadt nie verlassen und weiß gar nicht, wo er überhaupt hinrennen sollte. Grund Nummer zwei: Was seinen Lebensstil angeht, hat er gewisse Mindeststandards.
    Anonymität. Wenn er sich schon nicht in der Menge verstecken kann, dann wenigstens an einem Ort, an dem es niemanden interessiert, wer er ist oder was er getan hat.
    Dunkelheit. Die Nacht ist sein Verbündeter, der Schutz vor den UV-Strahlen der Sonne ein absolutes Muss. Wenn er zu viel Sonne abkriegt, verwandelt er sich im Nu in einen nässenden, schorfigen Klumpen aus Eiterbeulen. Habt ihr schon mal Bilder von Leuten mit extremem Hautausschlag gesehen? Jetzt stellt euch mal vor, so was wächst in eurem Mund, in den Ohren, der Nase und den Augen. Das ist der Effekt der Sonne.
    Außerdem braucht der Mann andere Leute um sich. Nicht weil er so ein sozialer Mensch ist. Er braucht sie als Nahrungsquelle. Klingt hart, ist aber leider so. Schließlich will ich hier nichts verschweigen. Ohne Nahrung wird er verhungern und kurz vor seinem Tod wahnsinnig. Was ihm allerdings auch eine wahnsinnige Schnelligkeit und Stärke verleiht. Dann gnade Gott allen, die so dumm genug sind, sich in seiner Nähe aufzuhalten.
    Hab ich was vergessen?
    Richtig.
    Die Frau.
    Wenn ein Mann in der Kanalisation hausen muss, ist mit Sicherheit eine Frau im Spiel. In meiner Geschichte gibt’s sogar eine ganze Menge. Verschwundene Frauen, reiche Frauen, hochintelligente Frauen, lesbische Frauen, durchgeknallte Frauen, harte Frauen, schwangere Frauen. Im Laufe der Jahre hab ich’s mit allen möglichen Frauen zu tun bekommen. Ja, auch mit toten Frauen. Aber sie alle bedeuten mir nichts. Nur eine. Meine Frau. Eine Frau, die es wert ist, buchstäblich bis zum Hals in der Scheiße zu stecken. Zu warten. Zu beobachten. Die Vibrationen der

Weitere Kostenlose Bücher