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Ausgeträumt

Ausgeträumt

Titel: Ausgeträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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von seiner Gummikluft nichts mehr. Red sah mich an.
»Manche kommen hier rein mit ’nem Softeis in der Hand und tropfen mir alles voll – kannst du dir das vorstellen?«
»Ich kann mir noch Schlimmeres vorstellen.«
Erst jetzt merkte ich, daß noch jemand im Laden war. Er stand weiter hinten. Ich hatte mal Fotos von einem gesehen, der genauso aussah. Celine. Celine?
Ich ging langsam zu ihm nach hinten. Als ich nahe genug ran war, konnte ich sehen, was er las. Thomas Mann. Der Zauberberg.
»Der hier hat ein Problem«, sagte er und hielt das Buch hoch.
»Und zwar?«
»Er hält Langeweile für Kunst.«
Er stellte das Buch zurück, und dann stand er einfach da und sah wie Celine aus. Ich musterte ihn.
»Ist ja nicht zu fassen«, sagte ich.
»Was denn?«
»Ich hab gedacht, Sie sind tot«, sagte ich. Er sah an mir runter.
»Das habe ich von Ihnen auch gedacht«, sagte er. Wir standen da und starrten einander an. Dann hörte ich Red.
» He! Jetzt aber raus! « schrie er. Wir waren die einzigen Kunden im Laden.
»Wen von uns zweien meinst du?« fragte ich.
» Den, der aussieht wie Celine! Raus hier! «
»Warum denn?«
» Ich merk es einem an, wenn er nix kaufen will! «
Celine, oder wer immer es war, ging zur Tür. Ich folgte ihm nach draußen.
Er ging zum Boulevard rauf. Vor dem Zeitungskiosk blieb er stehen.
Das Ding gab es schon so lange, wie ich zurückdenken konnte. Ich erinnerte mich, wie ich mal vor zwanzig oder dreißig Jahren mit drei Nutten davorgestanden hatte. Ich hatte die drei mit nach Hause genommen, und eine hatte meinen Hund gewichst. Sie fanden das urkomisch. Sie waren vollgedröhnt mit Tabletten und Alkohol. Die eine ging aufs Klo und stolperte, schlug sich den Kopf an der Kloschüssel auf und blutete alles voll. Ich brauchte mehrere nasse Handtücher, bis ich das Zeug aufgewischt hatte. Ich brachte sie zu Bett und saß mit den anderen herum, bis sie schließlich gingen. Die im Bett blieb vier Tage und Nächte da, trank mir mein ganzes Bier weg und erzählte mir von ihren zwei Kindern in East Kansas City.
Celine – falls er es war – stand am Kiosk und sah eine Zeitschrift durch. Im Näherkommen stellte ich fest, daß es der New Yorker war. Er steckte das Heft in den Aushang zurück und sah mich an.
»Die haben alle dasselbe Problem«, sagte er.
»Nämlich?«
»Sie können nicht schreiben. Kein einziger von ihnen.«
In diesem Augenblick kam ein Taxi vorbei.
»He!« schrie Celine. »Taxi!«
Das Taxi hielt, er rannte hin, die hintere Tür ging auf, und er sprang rein.
»He!« rief ich ihm nach. »Ich muß Sie was fragen!«
Das Taxi beschleunigte und fuhr Richtung Hollywood Boulevard. Celine hielt den Arm raus und zeigte mir den Finger. Dann war er verschwunden.
Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, daß ich in dieser Gegend ein Taxi gesehen hatte. Ein freies, meine ich, das einfach so langschaukelte.
Na, der Regen hatte aufgehört, aber der dumpfe Schmerz nicht. Außerdem war es empfindlich kühl geworden, und alles roch nach nassen Fürzen.
Ich zog die Schultern hoch und ging zu Musso’s Restaurant. Ich hatte eine goldene Visa-Karte und war noch am Leben. Vielleicht. Fühlte mich sogar ein bißchen wie Nicky Belane. Ich summte eine kleine Melodie von Eric Coates. Wer sich das Leben zur Hölle macht, ist selber schuld.

4
    Ich schlug Celine im Lexikon nach. 1894-1961. Wir hatten 1993. Wenn er noch lebte, war er jetzt neunundneunzig. Kein Wunder, daß Lady Death hinter ihm her war. Der Bursche in der Buchhandlung hatte nach Mitte vierzig ausgesehen. Na bitte. Er war also nicht Celine. Oder hatte er vielleicht eine Methode gefunden, wie man dem Altern ein Schnippchen schlägt? Man braucht sich ja nur die Filmstars anzusehen. Sie lassen sich Haut vom Arsch ins Gesicht verpflanzen. Die Haut am Arsch braucht am längsten, bis sie runzelt. Im reiferen Alter laufen sie dann alle mit Arschgesichtern rum. Würde Celine so etwas machen? Wer möchte schon neunundneunzig werden? Nur ein Idiot. Warum sollte Celine noch Zeit schinden wollen? War doch alles verrückt. Lady Death hatte einen Stich. Ich hatte einen Stich. Die Piloten der Fluggesellschaften hatten einen Stich. Sieh dir nie den Piloten an. Geh einfach an Bord und fang an, Drinks zu ordern.
    Ich sah zwei Fliegen beim Ficken zu. Dann beschloß ich, Lady Death anzurufen. Ich zog mir den Reißverschluß auf und wartete auf ihre Stimme. Da kam sie auch schon. »Hallo?«
    »Ummm …«, machte ich.
    »Wie? Ach, Sie sind’s, Belane. Kommen Sie mit dem Fall

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