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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Zannoner
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dich ist es wichtig, im Training zu bleiben.«
    Du hattest ihn angesehen. »Und, wann kann ich mit dem Training beginnen?«
    Er hatte sich zufrieden im Sessel zurückgelehnt, als hätte er sein Ziel bereits erreicht. »Du kannst heute anfangen.«
    »Ich spreche vom Fußballtraining. Ich bin Fußballer.«
    Er hatte dir tief in die Augen gesehen und dann in ruhigem Ton gesagt: »Leo, du weißt genau, dass du nicht mehr Fußball spielen kannst.« Ein Tiefschlag, aber du warst vorbereitet gewesen und hattest gelassen reagiert, immerhin hatte der Arzt nicht um den heißen Brei herumgeredet. Im Gegenteil, er hatte tief Luft geholt, um genau das zu sagen, was du jeden Tag von Silvia hörtest: »Du musst dir darüber klar werden, dass … «, und da du schon wusstest, worauf er hinauswollte, warst du ihm ohne zu zögern ins Wort gefallen: »Ich weiß genau, dass ich nicht Basketball, sondern Fußball spielen will. Ich habe nicht die geringste Lust, in einer Mannschaft von armen Schweinen zu spielen, die einen Ball in die Luft werfen.«
    Der Arzt hatte resigniert die Hände gehoben. »Wie du meinst. Aber wenn du es dir noch einmal durch den Kopf gehen lässt, würde mich das sehr freuen.«
    Du warst dir vollkommen sicher gewesen, dass deine Entscheidung endgültig war. Dieser Mann hatte keine Ahnung, für ihn war Mannschaftssport die ideale Basis für die funktionelle und psychosoziale Wiedereingliederung, deshalb erschien ihm eine Sportart so gut wie jede andere. Du warst stolz auf dein Nein gewesen. Du würdest dir das schon wieder antrainieren, was dein Physiotherapeut »motorische Fitness« nannte. Dein Körper kam dir im Spiegel unverändert vor, die Beine sahen immer noch aus, als könnten sie dich tragen und fortbewegen. Du wolltest einfach nicht wahrhaben, dass eine winzige Verletzung des Rückenmarks dein Leben so grundlegend verändern würde. Aber es war so. Eine ganz leichte Beschädigung nur, und die Verbindung war unterbrochen. Unwiderruflich.

Mittags
    Deine Eltern haben als Überraschungsgast deinen Trainer zum Mittagessen eingeladen. Manlio ist dir in den vergangenen Monaten sehr nah gewesen, er hat fast jeden Tag angerufen, manchmal nur um zu fragen: »Alles okay?« Im Hintergrund waren meist Geräusche zu hören, er war im Auto, in der Bar, in der Schule, auf der Straße oder sonst irgendwo. Er ruft immer dann an, wenn er gerade an »seinen Jungen« denken muss, wie er dich jetzt nennt.
    »Ich habe es schon mal probiert, aber dein Handy war aus. Alles klar bei dir?«
    »Ja, alles klar. Ich habe vergessen, es anzuschalten.«
    »Was machst du gerade? Wieder unterwegs?«
    »Ich höre Musik.«
    »Hast du schon was für die Schule getan? Oder sind schon Ferien?«
    Und du, lachend: »Nein, ich nehme mir eine Auszeit.«
    »Aber nicht zu lange. Oh, entschuldige, ich muss aufhören, die Polizei ist in der Nähe.«
    Vermutlich saß Manlio im Auto und telefonierte während des Fahrens. Er fand immer Zeit, dich anzurufen, wusste genau, was du gerade lernen musstest, als würde er das Pensum genau kennen. Gut, er war Lehrer, aber als Sportlehrer musste er nicht unbedingt darüber informiert sein, dass in Geschichte gerade die Zeit des Kaisers Augustus durchgenommen wurde.
    Er hat dir nicht verraten, dass er heute zu dir nach Hause kommen würde. Es klopft an der Tür des Wohnzimmers, das ja jetzt dein Zimmer ist, und du hörst eine Stimme: »Darf ich?«
    Du erkennst die Stimme, wendest den Rollstuhl, rollst auf ihn zu und breitest die Arme aus. »Hey, was machst du denn hier?«
    Der kräftige Mann beugt sich zu dir herunter und nimmt dich in den Arm. Ein erhebendes Gefühl, er kommt dir vor wie ein mächtiger Felsengipfel, umhüllt von Sturm, Eis und Himmel. Manlio greift sich sofort einen Stuhl und setzt sich dir gegenüber. Dann nimmt er die Wollmütze ab, die seine ausgeprägten Geheimratsecken verdeckt hat, zieht die dicke Winterjacke aus und bemerkt: »Wow, hier ist es aber warm. Kommt mir vor wie dreißig Grad!«
    »Wie im Brutkasten, meine Eltern frieren ja ständig!«
    »Und du? Was willst du mit diesem Skipulli?«
    »Na ja, mir ist auch ständig kalt.«
    »Du bist wohl auch älter geworden.« Er zwinkert dir zu. Dann sieht er sich um und fragt, ob du umgezogen bist. Auf dem Wohnzimmertisch stapeln sich die Schulbücher, auf dem Sofa liegen deine Kopfhörer, eine zerknüllte Wolldecke, ein Comic und eine aufgerissene Chipstüte. Das Schränkchen daneben, auf dem ursprünglich Bilderrahmen mit Familienfotos ihren

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