Ausgewechselt
Lieber«, entgegnet er mit blitzenden Augen, »es ist eine Sache des Herzens.«
»Das kannst du sehen, wie du willst, Manlio, aber ich werde immer hier in diesem Rollstuhl gefangen sein.« Ihr scheint euch mit Blicken zu duellieren, als wärt ihr Feinde, zwischen euren Gesichtern liegen nur wenige Zentimeter.
»Wer hat denn gesagt, dass ich an ein Wunder glaube? Dafür müsstest du nach Lourdes pilgern.«
»Was willst du dann von mir? Los, sag schon!«
»Ich will, dass du an deinem Körper arbeitest.«
»Das mache ich doch schon.«
»Aber nicht genug. Du bist Leistungssportler, vergiss das nicht.«
»Fängst du jetzt auch damit an? Schluss mit Sport, das habe ich abgehakt, ein für alle Mal.«
»Dann hast du mich auch abgehakt, ist das klar?«
»Klar.« Du rollst vom Tisch weg. Manlio rührt sich nicht, er ist wütend. Gisella hat die ganze Zeit über geschwiegen, mit verschränkten Armen stand sie an der Spüle. Als du aus dem Zimmer fährst, kommst du an ihr vorbei. Im Wohnzimmer legst du dich aufs Sofa. Am liebsten würdest du alles vergessen, aber dein Kopf dröhnt und droht vor Verzweiflung zu bersten.
Manlio klopft an die Tür. »Ich habe meine Jacke noch hier.«
Du nickst und siehst ihm zu, wie er die Jacke anzieht, die Mütze aufsetzt und die Hand hebt, um sich von dir zu verabschieden. Als sich die Wohnungstür hinter ihm schließt, wählst du seine Handynummer. »Ja, wer ist da?«
»Ich wollte dir nur sagen, dass es klargeht.«
»Wir starten morgen.«
»Ich gebe dir die Nummer des Physiotherapeuten.«
»Die hab ich schon.«
Was sagt man dazu? Dieser Teufelskerl hat schon alles geplant.
Fünfzehn Uhr zehn
Viola ist immer pünktlich, aber heute kommt sie zehn Minuten zu spät. Du siehst zum x-ten Male auf die Uhr, kannst aber nichts tun, denn sie ist der einzige Mensch auf der Welt, der kein Handy hat. Du kannst sie also nicht einmal fragen, ob sie schon unterwegs ist. Gerade als du überlegst, ob du sie zu Hause anrufen sollst, klingelt es.
Innerhalb weniger Minuten steigt sie die Stufen zu eurer Wohnung hoch. Als sie ankommt, ist sie etwas außer Atem und du fragst vorwurfsvoll: »Warum hast du nicht den Aufzug genommen?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Ich habe nicht daran gedacht.«
So eine Antwort hättest du geben können, damals in deinem alten Leben. Aufzug oder Treppe, was machte das für einen Unterschied? Außerdem hatte dir der Aufzug früher immer ein bisschen Angst gemacht, wenn noch ein anderer Mieter mit eingestiegen war. Auf so engem Raum kam dir die Zeit unendlich vor. Du hast auf die Schalttafel mit den Knöpfen gestarrt, der andere auf die Tür, beide peinlich berührt. Jetzt sehen dich die Nachbarn immer mitleidig an, wenn du in den schmalen Aufzug rollst, und überlassen dir den Platz. »Kein Problem, ich nehme die Treppe.« Oder, wenn sie schwer bepackt oder schon älter sind, sagen sie: »Ich warte, bis du raufgefahren bist, ich hab’s nicht eilig.«
Nur die Kinder machen sich keinen Kopf, sie quetschen sich einfach zwischen den Rollstuhl und die Fahrstuhlwand, drücken die Knöpfe und fahren mit dir rauf und runter. Auch die Katze aus dem ersten Stock mag deine Gesellschaft, denn du lässt sie als Einziger mitfahren. Du drückst den Knopf für den ersten Stock und lässt sie dort raus. Die anderen Bewohner mögen keine Katzen im Aufzug, sie meinen, das wäre gefährlich, ohne allerdings zu begründen, warum. Schon mehrmals hat es Beschwerden über die Mieterin aus dem ersten Stock gegeben, die darauf besteht, dass ihre Katze vormittags eine Runde um das Haus drehen kann. Pünktlich zu Mittag wartet die Katze unten, bis sich die Haustür öffnet, dann setzt sie sich an die Treppe und miaut, damit ihr Frauchen kommt, um sie mit dem Aufzug in den ersten Stock zu fahren. Wenn das nicht klappt, gibt sie auf und nimmt die Treppe. Sie miaut dann vor der Wohnungstür und ihr Frauchen öffnet jedes Mal mit den Worten: »Ah, du bist es? Ich habe dich gar nicht gehört, komm rein.« Sie weiß genau, dass ihre Katze immer um diese Zeit kommt, und trotzdem tut sie jedes Mal überrascht: »Ah, du bist es?« Wer sollte es sonst sein? Ein Märchenprinz?
Bei dir fühlt sich die Katze wohl, sie zeigt dir ihre Dankbarkeit und springt schnurrend auf deine Knie. Aber statt sich zusammenzurollen, bleibt sie aufrecht auf allen vieren stehen. Sie weiß, dass die Fahrt nur kurz ist, und sobald sich die Tür öffnet, springt sie aus dem Aufzug heraus.
Du machst die Wohnungstür hinter
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