Ausgewechselt
gefaltet.
»Nun, Leo … «, hatte er begonnen.
»Nun … «, hattest du wiederholt, wie ein Papagei, denn du wusstest, dass man Erwachsene am besten aus dem Konzept bringen konnte, wenn man sie imitierte, in ihren Gesten und ihren Höflichkeitsfloskeln. Tatsächlich hatte er sich daraufhin ein wenig nach vorne gebeugt, als wollte er dir näher sein. Aber allein dieser riesige Tisch sorgte für einen ausreichenden Sicherheitsabstand. Er hatte die Hände auf die Tischplatte gelegt und sein Gesicht hatte einen wohlmeinenden Ausdruck angenommen.
»Ich habe dich durch den Korridor rasen sehen«, hatte er den angefangenen Satz fortgesetzt. Du hattest angenommen, er wollte dich deshalb zurechtweisen, aber bevor du dir eine Ausrede einfallen lassen konntest, hatte er schon weitergesprochen: »Du machst das schon sehr gut.«
»Es ist so ähnlich wie ein Gokart.«
»Findest du? Ich bin kein Freund zu hoher Geschwindigkeit, musst du wissen. Ich habe oft genug gesehen, was da passieren kann.« Der Hinweis auf die Lähmung war nicht zu überhören gewesen, aber du hast ihn überrumpelt: »Tja, manchmal brauchen sogar wir eine Herausforderung.«
Er hatte die Stirn gerunzelt. »Wer wir?«
»Wir von der Reha. Am Weihnachts-Grand-Prix konnte ich leider nicht teilnehmen, weil ich noch nicht fit genug war, da hat Fabio gewonnen. Haben Sie nicht den Pokal gesehen, den wir ihm gebastelt haben?«
Er hatte kurz die Augenbrauen hochgezogen, dann aber gelächelt. »Ich nehme an, das Rennen fand in der Turnhalle statt?«
»Das hätte keinen Spaß gemacht. Die Rennstrecke führte durch die Flure, die sind der reinste Hindernisparcours, und der Weihnachtsbaum neben der Glastür war das Ziel.«
»Jetzt weiß ich auch, warum der so ramponiert aussah.«
»Na ja … er wurde öfter mal getroffen.« Bei dem Gedanken daran musstest du lächeln. »Giorgio ist mittenrein gefahren.«
Der Arzt hatte verbindlich gelächelt, aber vermutlich dachte er darüber nach, wie er herausfinden konnte, welche Ärzte und welche Pfleger das zugelassen hatten, dieses verrückte Rollstuhlwettrennen über den frisch gebohnerten Fußboden, wo man sich perfekt in die Kurve legen und dann volle Pulle weiterrasen konnte. Du dachtest an die anfeuernden Zurufe der Fans an der Strecke, an die Krankenschwestern und Pfleger in der ersten Reihe, die gejohlt und gepfiffen hatten. Und an Giorgio, den dreißigjährigen Tollpatsch, der mitten in den Weihnachtsbaum gebrettert war, wie eine Bowlingkugel in die Pins, und dabei gejubelt hatte: »Strike!«
»Da habe ich ja was verpasst«, hatte der Arzt gesagt, immer noch in freundlichem Ton, aber seine Finger trommelten ungeduldig auf die glatte Oberfläche des Schreibtischs. Er verlor seine kostbare Zeit, also kam er nun zum Punkt: »Ich habe dich aus einem bestimmten Grund hergebeten, Leo. Du bist doch Leistungssportler, oder?«
Du hattest misstrauisch genickt und er hatte weitergesprochen: »Ich fände es toll, wenn du bei unserer Basketballmannschaft mitmachen würdest.« Er hatte dich erwartungsvoll, vielleicht sogar ein wenig stolz angesehen, er war wohl davon ausgegangen, dass du sofort begeistert Ja sagen würdest. Aber dir war Basketball schon immer suspekt gewesen, denn du warst Fußballer und das würdest du immer bleiben, auch im Rollstuhl. Für dich musste der Ball gekickt und im Tor versenkt werden, nicht geworfen und in den Korb gelegt. Ein Basketballkorb war wie ein stinkendes Vogelnest, unter dem geschoben, gestoßen und gedrängelt wurde, um sich eine günstige Position zu erkämpfen. In der Halle würdest du ersticken, du brauchtest Rasen, den Geruch der Erde, frische Luft, ja selbst Regen oder Nebel, der mit eisigen Fingern über deine Wangen streicht. Beim Fußball schien dein Körper selbst bei bitterster Kälte zu kochen, dein Herz pumpte das Blut bis in die Zehenspitzen, deine Füße und Hände glühten, das Trikot klebte schweißdurchtränkt an deinem Körper. Der Fußballplatz war riesig und du hattest lange Spurts hingelegt, den Gegner verfolgt und mit der Lederkugel gedribbelt. Kein Vergleich mit diesem albernen Tanzsaal, in dem die Spieler Sprünge machten und Pirouetten drehten, kein Vergleich mit diesem Spiel, bei dem sich alle im Kreis drehten, nur wenige Schritte machten und in die Luft sprangen, mit dem Ball in der Hand, als sei er ein Geburtstagsgeschenk.
»Das ist nichts für mich«, hattest du protestiert.
»Probier’s aus. Wir haben einige richtig gute Leute. Für einen Sportler wie
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