Ausgewechselt
nicht.«
DieNeugierhattegesiegt.WerwardergeheimnisvolleUnbekannte,dergleichihreWohnungbetretenwürde?IhreMutterwurdeunruhig.Alsesklingelte,warViolaraschnachuntengegangen.SiewohntenimzweitenStockundesgabkeinenAufzug,deshalbwurdeLeovonseinemBegleiternachobengetragen.PatriciasaheinenkräftigenMannundeinenJungen,dersichanseinemRückenfestklammertewieeinKoalababyanseineMutter,aberdiesesBabywargarnichtmehrsoklein.AufderTürschwellehatteersieangelächelt,dieHandnebendemHalsdesBegleitersausgestrecktundgesagt:»GutenTag,ichbinLeo.«
Patricia hatte die Hand rasch gedrückt und dann den Morgenmantel enger um den Körper gezogen. Sie wirkte verschreckt und hielt die Arme verschränkt, als wollte sie sich gegen die Eindringlinge schützen. »Kommt rein … Geht das so?«, murmelte sie, und Viola nahm genervt ihren bestürzten Gesichtsausdruck zur Kenntnis, während sie den Rollstuhl in die Wohnung trug und ihn mit einem Ruck aufklappte, wie Leo es ihr gezeigt hatte. Der schien sich nicht weiter um ihre Mutter zu kümmern, aber Viola war es peinlich, dass er sie so sah, schlampig und mit diesem beunruhigten Gesichtsausdruck, als hätte sie ein Monster mit zwei Köpfen gesehen. Nachdem sie eine Uhrzeit zum Abholen ausgemacht hatten, verschwand der Begleiter. Leo setzte sein strahlendstes Lächeln auf und bat um ein Glas Wasser.
»Aber sicher, entschuldige … Wasser«, stammelte Patricia. Und als Leo ihr zur Küchenzeile hinterherrollte, wirkte sie wie auf der Flucht, wie ein Opfer, das verzweifelt vor seinem Mörder floh und in die Enge getrieben wurde. Während sie an den Hängeschränken herumhantierte und immer die falschen Türen öffnete, wartete Viola voller Ungeduld darauf, dass sie endlich in ihr Zimmer flüchten konnten, weit weg von dieser peinlichen Frau. Aber Leo schien sich wohlzufühlen, als könnte er sich nichts Schöneres im Leben vorstellen, als mit dieser Verrückten, die nun endlich ein Glas und sogar die Wasserflasche gefunden hatte, in der Küche herumzuhängen. Sie schaffte es sogar zu fragen: »Nur Wasser? Willst du vielleicht lieber einen Kaffee?«
»Nur keine Umstände.«
Endlich schien Patricia sich wieder einigermaßen gefasst zu haben: »Das mache ich doch gerne, überhaupt kein Problem.«
Schließlich saßen sie zu dritt am Tisch und tranken Kaffee. Leo fragte Patricia nach einer Verwandten, die ganz in der Nähe wohnte, und sie unterhielten sich angeregt. Viola kam die Zeit unendlich lang vor, tatsächlich aber waren es kaum zehn Minuten. Am Ende war Leo Viola in ihr Zimmer gefolgt und sie hatte die Tür hinter sich geschlossen. Jetzt waren sie in Sicherheit.
Keine Ahnung, warum Viola so nervös ist, als ich zu ihr komme. Sie bedenkt ihre Mutter immer wieder mit ängstlichen Blicken, als würde sie nur darauf warten, dass sie etwas Falsches tut oder sagt. Aber für mich ist ihre Mutter eine Frau, der es nicht gut geht, der man die seelischen Schmerzen im Gesicht ansieht, und ich weiß, dass sie mir nichts Böses will, sie tut sich selbst schon genug an.
Außerdem ist es überall besser als bei uns, Hauptsache weit weg von meiner Mutter, die über mich wacht wie eine Glucke und mir keine Luft zum Atmen lässt. Violas Mutter mag depressiv und mit Tabletten vollgestopft sein, aber immerhin lässt sie ihre Tochter in Ruhe. Viola hat ihre Freiheiten, ihr eigenes Reich, ein Zimmer, das niemand ungefragt betritt und das so eingerichtet ist, wie sie es will. Eine Wand ist ganz weiß, mit nichts als einem Spruch in der Mitte. Kein Poster. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängen Fotos von ihr, bei Siegerehrungen oder mit Freundinnen, und ein Schnappschuss mit einem Jungen, von dem sie sofort sagt, das sei ein Cousin, der ihr sehr nahesteht. Direkt neben dem Bett steht eine Stereoanlage, daneben stapeln sich Hunderte CD s. Sie erklärt mir, dass sie fast ihr gesamtes Geld für Musik ausgibt, sie sagt wörtlich: »Ich investiere mein Geld in Musik«, als ob CD s eine Lebensversicherung wären.
Ich fühle mich wohl bei ihr, vielleicht wegen des Spruchs an der Wand oder wegen des Lichts, das durch das große Fenster hereinflutet, und der Stille. Kein Vergleich zu der hektischen Atmosphäre bei uns zu Hause, dieser ständigen Spannung, die uns lähmt und gleichzeitig aggressiv macht. Jona reagiert so, wie ein Kind seines Alters reagiert, er ist launisch, schreit viel und bekommt schließlich sogar eine Ohrenentzündung, als hätte ihm die ganze Anspannung wie ein elektrischer Schlag das Ohr
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