Ausgeweidet (German Edition)
freigesprochen worden.«
»Sag bloß, das ist dieser Briest.« Clemens atmet geräuschvoll aus. »Scheiße, da können wir uns auf ein riesiges Medienaufgebot gefasst machen. So wie der Prozess wochenlang die Schlagzeilen der regionalen Presse beherrscht hat, dürfte es keinen in Düsseldorf und Umgebung geben, dem dieser Musiker kein Begriff ist.« Er fährt sich mit den Fingern über die Stirn.
»Bist du dir sicher?« Marias Stimme klingt angespannt.
»Ja, ja, der Abgleich der Fingerabdrücke ist eindeutig. Zur Sicherheit habe ich eine manuelle Auswertung in Auftrag gegeben.«
Clemens reagiert umgehend. »Sag Schoeller Bescheid. Sofort die Spurensicherung zu der Bleibe von Briest. Und auf der Heide soll versuchen, den Richter zu erreichen; wir brauchen eine schnelle Einführung in die Prozesslage und natürlich die Akten. Ich kümmere mich um Mönnekes, die Presse sollten wir, solange es geht, raushalten. Morgen reicht auch noch.«
Er holt tief Luft. »Ich will absolute Gewissheit. Wir suchen die Ex-Ehefrau von Briest auf, erste Befragung und dann sofort in die Gerichtsmedizin. Sag denen bitte Bescheid, dass wir am späten Abend kommen. Auf dem Handy könnt ihr mich rund um die Uhr erreichen, wir sehen uns dann morgen um acht Uhr dreißig zur Morgenbesprechung. Und informiert die Cremer.«
6.
Samstag früher Abend Golzheim. In nur wenigen Minuten erreichen die beiden Hauptkommissare über das Josef-Beuys-Ufer und die Cecilienallee Golzheim. Die ehemalige Schlageter-Stadt, heute als Teil der Golzheimer Siedlung bekannt, wurde 1937 konzipiert und von den Nationalsozialisten nach dem 1923 hingerichteten Freikorps-Kämpfer Albert Leo Schlageter benannt, der gegen die französischen Besatzungstruppen gekämpft hatte. Die kleinen Einfamilienhäuser, idyllisch gelegen in unmittelbarer Nähe zum Rhein, standen damals fast ausschließlich der »besseren« Gesellschaft offen. Auch heute sind die weißen Häuser sehr begehrt, denn sie sind solide gebaut und haben Charme. Hier wohnt Senta Hartmann in der Leo-Statz-Straße.
Das Haus ist hell erleuchtet. Als Clemens und Maria klingeln, bleibt bis auf das Gekläff eines Hundes alles still. Sie gehen seitlich am Haus vorbei in den Garten und schauen ins Wohnzimmer, auch hier ist Licht in den Räumen zu sehen. Zurück auf der Straße, werden sie von einem Nachbarn angesprochen. »Darf ich fragen, was Sie bei Frau Hartmann zu suchen haben?«
Maria stellt sich und Clemens kurz vor. Sie erfahren, dass Senta Hartmann nicht zu Hause ist, denn sie hat freitags und samstags, manchmal auch sonntags, ihren Liederabend im Petit Salon in der Adersstraße. Clemens fragt erstaunt, ob sie trotz Abwesenheit immer das Licht brennen lasse. Freundlich erwidert der ältere Herr, dass dies ihre Strategie der Einbruchsbekämpfung sei.
Clemens und Maria steigen erneut in ihren Dienstwagen, einen unauffälligen VW-Passat, um diesmal quer durch die Stadt Richtung Hauptbahnhof zur Adersstraße zu fahren. Wie überall in der City ist die Parkplatzsituation verheerend. Clemens fällt es immer noch schwer, sich – wie er findet – rücksichtslos in die zweite Reihe zu stellen, eine Angewohnheit, die typisch für die Düsseldorfer ist. Eine andere Variante ist, die Parklücke nur halb zu nutzen. Maria ist da ganz anders. Sie kann ohne Probleme in Einfahrten halten oder Autos blockieren, und – das ist besonders ärgerlich – sie bekommt fast immer einen Parkplatz.
»Man muss sich den nur bildlich vorstellen, natürlich nicht einfach so, sondern schon da, wo man ihn haben will«, ist Marias gängige Erklärung für dieses Phänomen.
»Blödsinn«, antwortet Clemens jedes Mal. Aber es ist schon merkwürdig, dass er fast nie, sie aber ganz oft eine Lücke findet. Nicht ohne Grund leistet sich der Hauptkommissar einen Tiefgaragenplatz zu seinem Appartement. Wie oft ist er hundemüde bis zu einer halben Stunde im Viertel herumgekurvt auf der Suche nach einem regulären Parkplatz. Und dabei geht es im Hafen noch, die vielen Restaurant- und Kneipenbesucher fahren irgendwann nach Hause. Aber in anderen Vierteln wie Bilk oder Pempelfort, ganz zu schweigen von Oberkassel, geht gar nichts. Immer wenn Maria ihn aufzieht, muss er an einen weniger ruhmreichen Kampf mit einer Parklücke denken. Da hatte er sich voller Selbstbewusstsein millimetergenau, obwohl sein alter Porsche keine Servolenkung hat, in eine Parklücke manövriert, um dann festzustellen, dass definitiv zehn Zentimeter zum Erfolg fehlten.
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