Ausländer
Tauchmannschaft! Aber Schwimmen mag ich am allerliebsten. Wenn ich im Wasser bin, vergesse ich alles andere und schwimme, ohne es zu merken, vierzig Schwimmbeckenlängen. Ich schwimme gern jeden Tag.«
Das war mit Sicherheit wahr. Immer, wenn sie vorbeiging, stieg Peter schwach der antiseptische Geruch von Chlor in die Nase.
Kürzlich war Traudl mit drei anderen Mädchen aus der Schwimmstaffel in der Lokalzeitung abgebildet gewesen. Frau Kaltenbach hatte das Foto ausgeschnitten und an die Anschlagtafel in der Küche geheftet. Die Mädchen glitten mit verzücktlächelnden Gesichtern durch das Wasser, man sah nur ihre Köpfe mit den Plastikbadehauben, deren Vorderseite das Hakenkreuz zierte.
Peter gestand, dass er ein miserabler Schwimmer war. Über ein paar Züge im Meer mit seinem Vater war er nicht hinausgekommen, und das Meer war zum Schwimmenlernen ohnehin ungeeignet.
»Hat man dich nicht ins Dorfschwimmbad mitgenommen?«, wollte Traudl wissen.
In Wyszków hatte es kein Schwimmbad gegeben, überhaupt nirgendwo in der Nähe. Peter wusste, dass eine entsprechende Äußerung mit Kichern und überheblichen Blicken beantwortet worden wäre. »Meine Eltern sind beide nicht gern geschwommen«, log er deshalb. »Darum sind wir nie schwimmen gegangen.«
»Für Mädchen gibt es keinen besseren Sport als das Schwimmen«, mischte sich Frau Kaltenbach ein. »Es bereitet den Körper optimal auf die Mutterschaft vor.«
Dann wandte sie sich an Elsbeth. »Du solltest auch schwimmen gehen, mein Liebling.«
Elsbeth wurde widerborstig. »Ich habe bei meiner Arbeit in der Post schon mehr als genug Bewegung, danke, Mutter.«
Peter spürte, dass sich ein Streit anbahnte. Ob Frau Kaltenbach sie rügen würde, weil sie noch nicht verheiratet war?
Soweit er wusste, gab es keine Männer in Elsbeths Leben. Er fragte sich, warum. Auf der Straße drehten sich genügend Burschen nach ihr um. Aber irgendwie wirkte sie der Welt gegenüber gleichgültig. Ihr Verhalten hatte nichts Ermutigendes.
Es folgte unbehagliches Schweigen, das Peter brach, indem er einschmeichelnd fragte: »Kannst du mich nicht einmal mitnehmen, Traudl? Und mir das Schwimmen beibringen?«
Der Gedanke gefiel ihr. »Ich gehe am liebsten gleich morgens, vor der Schule. Du müsstest also früh aufstehen …«
Er versprach es. Diese kleinen Streitereien lösten Unbehagen in ihm aus. Es war ihm rätselhaft, worin die Feindseligkeit zwischen Elsbeth und ihrer Mutter begründet lag, aber er hatte nicht das Gefühl, Traudl danach fragen zu können.
Mehrmals in der Woche ging Peter nun nach der Schule zum Deutschen Jungvolk. Die »Jungenschaft« genannte Gruppe der Nachwuchsorganisation der Hitlerjugend traf sich in einem eigenen »Klubheim« im Keller einer Gaststätte. Der Treffpunkt sollte, in der Tradition der HJ , geheim bleiben, doch die Jungen hatten keine Mühen gescheut, den Raum mit Naziplakaten und Fahnen zu schmücken.
An Peters erstem Abend hatte man ihn zu einem nahegelegenen Sportplatz mitgenommen und einer Reihe von Prüfungen unterzogen. So musste er 60 Meter in maximal zwölf Sekunden laufen und einen Schlagball mindestens 25 Meter weit werfen. »Stell dir vor, der Ball ist eine Granate«, sagte der Jungvolkführer, »die du in einen feindlichen Schützengraben wirfst.«
Am besten hatte ihm die »Mutprobe« gefallen, bei der er aus dem ersten Stock eines Hauses springen musste. Unten warteten die größeren Jungen mit einer Plane, um ihn aufzufangen, doch das sah man erst im letzten Moment.
Viele Jungen in seiner Einheit waren jünger als Peter. »Wenn du vierzehn bist«, sagte der Anführer, »kommst du zu den Großen in die Hitlerjugend.«
Peter fühlte sich von Anfang wohl dort, nicht zuletzt, weil sich ihm unmittelbar nach seinem Eintreffen ein dunkelhaariger,etwa gleichaltriger Junge vorstellte. »Ich bin Gerhart Segur«, sagte er breit lächelnd. »Wann wirst du vierzehn?«
Peter hatte Anfang Oktober Geburtstag. »Ich auch«, sagte Segur. »Dann kommen wir gemeinsam in die Hitlerjugend.« Peter mochte Gerhart Segur auf Anhieb. Irgendwie hatte er etwas Verschmitztes an sich, während die meisten anderen Jungen sehr ernst wirkten.
Peter genoss die Zusammenkünfte, insbesondere, wenn sie Modellflugzeuge oder Panzer aus Balsaholz bauten, während der Jungvolkführer ihnen spannende Geschichten vorlas.
Peters Tage waren so ausgefüllt, dass er kaum mehr zum Nachdenken darüber kam, was ihm widerfahren war. Und das war ihm auch ganz recht so.
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