Ausländer
sechsspurige Autobahn unter dem Tiergarten geben würde. Noch am selben Abend zeigte er es seinem Onkel Franz. Kaltenbach zauste ihm wieder das Haar. »All das«, erklärte er stolz, »erwartet uns, sobald der Krieg gewonnen ist.«
Peter leuchtete das vollkommen ein. Polen hätte dergleichen niemals hervorgebracht, davon war er überzeugt. Die Deutschen waren ohne Zweifel die fortschrittlichste Nation der Welt. Und er war hier, mittendrin, und hatte das Glück, einer von ihnen zu sein.
Kapitel neun
Kaiser-Wilhelm-Institut, Berlin
30. September 1941
Professor Kaltenbach war es sehr wichtig, dass Peter seine Einführungsvorlesung für die neuen Studenten an seinem Institut besuchte, bei der es um Rassenlehre und die Arbeit seiner Abteilung gehen sollte. Für ihn war das einer der bedeutendsten Momente in seinem Jahresablauf. »Du musst unbedingt kommen«, sagte er beim Frühstück. »Da erhältst du einen guten Einblick in meine Arbeit. Vielleicht beschließt du ja sogar, irgendwann in meine Fußstapfen zu treten. Jedenfalls sorge ich dafür, dass du vom Unterricht freigestellt wirst.«
An dem betreffenden Tag saßen Peter und Frau Kaltenbach also in den hinteren Reihen des Vorlesungssaals im Kaiser-Wilhelm-Institut. Bis zum Eintreffen des Professors war der Raum erfüllt von den leise geführten Gesprächen der Zuhörer. Ein paar vereinzelte gewöhnliche Medizinstudenten waren darunter, die meisten jedoch waren junge Männer in den schwarzen Uniformen der SS – angehende Militärärzte, die sich in einem zehnmonatigen Kurs die komplizierte Materie der Rassenkunde aneignen mussten. In der Masse, dachte Peter, waren sie eine einschüchternde Horde ernster arischer Übermenschen.
Peter war nervös. Er hegte die Befürchtung, Kaltenbach könnte ihn während der Vorlesung nach vorne rufen und als»Prachtexemplar nordischer Rasse« präsentieren. Diesen Satz, der ihn so unangenehm berührte, hatte er in den vergangenen drei Wochen oft hören müssen.
Kaltenbach fegte herein, und augenblicklich wurde es still im Saal. Er stellte sich hinter das Pult und klopfte auf seine Unterlagen, nahm einen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas und begann dann mit klarer, selbstbewusster Stimme zu sprechen.
»Meine Herren«, sagte er dröhnend, »und Damen.« Nachsichtig nickte er der kleinen Anzahl von Medizinstudentinnen zu, die im rechten Flügel des Saals zusammensaßen. »Sie sind die Schildwachen der genetischen Gesundheit der Nation, und Sie müssen stets auf der Hut sein, denn ganze Generationen sind betroffen.«
Er legte eine dramatische Pause ein, damit die Zuhörer die volle Bedeutung seiner Worte erfassen konnten.
»Ich biete Ihnen die Vision einer Welt, frei von Krankheit, Kriminalität, Asozialen, Prostituierten, Bettlern und Arbeitsscheuen, frei vom Bazillus des Weltjudentums … Sie sind die Fußsoldaten dieses künftigen Utopia. Diener der nationalsozialistischen Vision.
Um jedoch diesen Traum zu verwirklichen, müssen Sie falsche Vorstellungen von Humanität ablegen.« Er hielt inne. Die Studenten hingen an seinen Lippen. »Ich erinnere nachdrücklich an die Worte von Reichsminister Goebbels, der 1938 auf dem Parteitag verkündete:
›Wir gehen nicht von dem einen Menschen aus, wir vertreten nicht die Anschauung, man muss die Hungernden speisen, die Durstigen tränken und die Nackten bekleiden … Unsere Motive sind ganz anderer Art. Sie lassen sich am lapidarsten in dem Satz zu sammenfassen: Wir müssen ein gesundes Volk besitzen, um uns in dieser Welt durchsetzen zu können.‹
An die Rassengesetze, die die Nationalsozialisten seit der Machtübernahme verabschiedet haben, brauche ich Sie wohl kaum zu erinnern. Heutzutage sind Ehen, deren Nachkommen der Reinheit des deutschen Blutes schaden würden, im Reich eine Unmöglichkeit.«
Kaltenbach fuhr damit fort, die Rolle seiner Abteilung in dieser großen Revolution zu umreißen und dass es hier und jetzt ihre Aufgabe sei, die biologischen Grundlagen menschlicher Unterschiedlichkeit zu erforschen. Doch die größte Herausforderung der Rassenkunde sei die wissenschaftliche Bestimmung der Merkmale von Juden. Damit kam er zur vordringlichsten Aufgabe des Instituts – die Blutserums- und Irisforschung in der Rassendiagnose – und wie diese Arbeit die zeitraubenden und kostspieligen gegenwärtig üblichen Verfahren ablösen würde.
Peter verstand nur wenig von dem Vortrag, aber er sah voller Stolz, dass Professor Kaltenbach in der Lage war, sein
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