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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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erkundigte sich nach ihrer Arbeit, aber diese Frage wischte sie rasch beiseite. »Im Gegensatz zu Onkel Franz rede ich bei Tisch nicht gern über meinen Beruf.«
    Inzwischen plauderten die beiden kleineren Mädchen lebhaft miteinander. Entsprechend einem Aufruf der Regierung sammelten die beiden eifrig Spenden und kriegswichtige Materialien. »Frau Drescher gibt nie mehr als ein paar Pfennig«, verkündete Traudl.
    »Stimmt«, bekräftigte Charlotte. »Wir sollten sie anzeigen, weil es ihr an nationalsozialistischem Geist fehlt!«
    Peter war verwirrt. Scherzten sie oder meinten sie das ernst? Jede Familie hatte ihre kleinen privaten Scherze, aber über Charlottes Bemerkung hatte niemand gelacht.
    »Frau Drescher hat nur ihre Witwenpension«, erwiderte Herr Kaltenbach. »Vielleicht sollten wir nicht zu unfreundlich zu ihr sein.«
    Als er schließlich mit vollem Bauch und glücklich gestimmt im Bett lag, dachte Peter an sein altes Zuhause. Die Möbel waren abgenutzt, aus den Sesseln und Sofas quoll manchmal das Füllmaterial. In der schmuddeligen Küche summten Fliegen. Es war eigentlich ziemlich schäbig gewesen. So hatte er noch nie über das polnische Bauernhaus gedacht, und sein Gewissen regte sich ein wenig. Die kaltenbachsche Wohnung war luxuriös. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass seine Eltern über sein Glück begeistert wären.
    Vor Frau Kaltenbach und ihrer kühlen ältesten Tochter war er auf der Hut, aber die kleineren Mädchen schienen ihn zu mögen. Und Professor Kaltenbach war so ganz anders als sein Vater. Freundlich und voller Interesse und stets zu einem Gespräch mit ihm aufgelegt. Er glaubte, dass er sich gut einleben würde. In dieser Nacht schlief er besser als in den ganzen letzten Monaten.

Kapitel acht
    Berlin
3. September 1941
    An Peters erstem Morgen in seinem neuen Zuhause ging Frau Kaltenbach mit ihm ins KaDeWe – das Kaufhaus des Westens – neue Kleider kaufen. Das größte Kaufhaus Europas, wie sie stolz erklärte, lag nur fünf Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Peter war beeindruckt von ihrer Großzügigkeit. »Wir können nicht zulassen, dass dich die Leute für einen armen Verwandten halten«, sagte sie.
    Am Nachmittag, als er mit Elsbeth allein im Wohnzimmer saß, sagte sie zu ihm: »Wir hätten nicht gedacht, dass du so zivilisiert bist. Ein paar von den Mädchen, mit denen ich in der Schule war und die vom Dienst in den neuen Gebieten zurückgekommen sind, erzählen, dass die deutschen Polen dreckig sind und so miserabel Deutsch sprechen, dass man sie gar nicht versteht. Und dass sie total abergläubisch sind, wie die dümmsten Bauern. Meine Freundinnen haben gesagt, sie hätten zwischen ihnen und den Polacken keinen Unterschied feststellen können. Aber du bist ja wohl nicht so.«
    Sie schlenderte davon, ohne auch nur Notiz davon zu nehmen, dass er errötete. Es war das erste Mal, dass sie mehr als ein paar Worte an ihn gerichtet hatte. Wahrscheinlich war das ihre Art, freundlich zu sein. Er freute sich darüber, denn insgeheim faszinierte ihn Elsbeth. Und sie war wirklich sehr hübsch.
    Peter gewöhnte sich rasch ein. Professor Kaltenbach hätte nicht gastfreundlicher sein können. »Ein Junge, hier, zwischen all den Mädchen!«, sagte er beim Frühstück und zauste Peters Haar. »Mit dir kann ich mich über alles unterhalten, was sie nicht interessiert!«
    Bei den Kaltenbachs fühlte er sich, als wäre er durch das Austauschprogramm einer vornehmen Schule hierher in die Großstadt gekommen, während man eines der Kinder der Familie nach Wyszków geschickt hatte. Manchmal überlegte er amüsiert, wie ein solches Kind wohl mit seinen Eltern zurechtgekommen wäre und ob sein Papa ihm das Kuhmelken beigebracht hätte. Beruhigt stellte er fest, dass er so etwas denken konnte, ohne allzu traurig zu werden.
    »Werden du und Tante Liese mich adoptieren?«, fragte Peter Herrn Kaltenbach. Er wusste überhaupt nicht, was weiter geplant war.
    »Jetzt noch nicht, Peter. Fürs Erste haben wir nur deine Vormundschaft. Wenn alles gut läuft, werden wir irgendwann den ganzen Papierkram erledigen und dich adoptieren.
    Alles verändert sich so rasend schnell. In deinem Leben und überhaupt. Es ist ja erst ein paar Wochen her, dass du deine Eltern verloren hast. Und deshalb noch zu früh, um über eine Adoption nachzudenken. Das wäre, als würde man wenige Monate nach dem Tod seiner Ehefrau wieder heiraten.«
    Das sah Peter ein, aber was seine Zukunft betraf, fühlte er sich dadurch

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