Ausradiert: Thriller (German Edition)
hatte es mit nach unten in den Eingangsflur genommen, wo er es beim Nachhausekommen als Erstes sah. Petrov parkte und ging den Pfad hinauf, voller Vorfreude auf den Anblick. Erst an der Haustür, als er die Bergluft roch, fiel ihm auf, dass er sich nicht bei seinem Haus befand, sondern stattdessen irgendwie zu seiner Hütte hochgefahren war.
Die Hütte, das hieß, er war die 101, 134, 210,10, 91 und den Canyon hochgefahren; so musste es sein, aber er konnte sich an nichts erinnern. Was geschah mit ihm? Es musste an der Erschöpfung liegen, aber er war kein bisschen müde. Wenn nicht die Erschöpfung, was dann?
Petrov schloss die Blockhütte auf, spürte den indianischen Läufer unter seinen Füßen, saß in dem Korbschaukelstuhl, dem See zugewandt. Der Mond hing tief am Himmel, sein Schimmern spiegelte sich vielfach auf dem Wasser, wie Fischschwärme. Ein dunkler Schatten glitt vorüber, fast mit Sicherheit eine Eule, die in der Nacht ausgezeichnet sah, nach einer Beute suchte, die das nicht konnte. Petrov hörte den langsamen Schlag ihrer schweren Flügel, merkte, dass er im gleichen Rhythmus schaukelte. Es ging ihm gut, er war nur am falschen Ort.
Oder vielleicht doch am richtigen. Big Bear lag auf halbem Weg nach Barstow. George Rummel – Barstow. An dritter Stelle auf seiner Liste, aber was, wenn ein unbewusster Teil seines Verstandes die Führung übernommen und ihn auf die richtige Spur gesetzt hatte? Schließlich begann er nicht ohne Grund stets mit den Geburtsurkunden.
In der Frühe Barstow. Nick Petrov ging schlafen, er fühlte sich tipptopp. Etwas platschte in den See, kurz bevor er einschlief.
G. Rummels Eintrag lautete Barstow, 2928 Calico Way. Calico Way war eine unbefestigte Straße, die in nordwestlicher Richtung aus der Stadt führte, in der Ferne schimmerten rosa die Soda Mountains. Neunundzwanzig achtundzwanzig stand allein am Ende der Straße, ein von der Sonne gebleichter großer Trailer, der nie mehr von der Stelle bewegt werden würde. Ein Außenthermometer im Schatten zeigte 43 Grad Celsius, aber heute schien Petrov die Hitze nicht zu spüren. Er klopfte an die Tür, roch Whiskey. Ein Mann öffnete.
»Mr. Rummel?«, fragte Petrov. Aber er wusste, dass er den richtigen Mann hatte, er musste ihn nur ansehen. Ein alter Mann mit großem Körper – Schultern, Brustkorb, Gelenke –, der ehedem wesentlich mehr gewogen hatte, und riesigen, kräftigen, abgearbeiteten Händen. Eine hielt einen Pappbecher mit einer goldenen Flüssigkeit, die andere eine Zigarette. Der alte Mann blinzelte ins Sonnenlicht, seine Augen waren wässrig und blau.
»Wer will das wissen?«, fragte er.
Petrov hielt seine Zulassung hoch. »Ich arbeite für Ihre Tochter Liza. Deren Tochter Amanda – Ihre Enkelin – ist verschwunden.«
»Ich mag die Bullen nicht«, sagte der alte Mann.
»Wer tut das schon?«
»Schwanzlutscher«, sagte der Mann. »Schleimscheißer.«
»Ich meinte, abgesehen von offensichtlichen Ausnahmen«, sagte Petrov. »Aber ich bin Privatermittler, kein Bulle.«
»Und was ermitteln Sie?«
»Amandas Verschwinden. Können wir drinnen darüber reden?«
»Kühler hier draußen«, meinte der Mann. »Haben Sie eine Ahnung, was die Klimaanlage für den Schrotthaufen kostet?«
»Hundertfünfzig im Monat«, antwortete Petrov.
Der Mann starrte auf ihn hinab, drehte sich um, verschwand in den Schatten, kehrte mit einer Stromrechnung zurück: 148,97 $.
»Schnüffeln Sie hinter mir her?«, fragte der Mann.
Petrov gab ihm die Rechnung zurück, aber nicht, bevor er registriert hatte, dass sie an George Rummel gerichtet war. »Amanda ist verschwunden, Mr. Rummel«, sagte er. »Und Ihre Tochter vielleicht auch.«
»Ich habe keine Tochter.«
»Meinen Informationen nach haben Sie eine.«
»Ihre Informationen sind falsch.«
»Meine Informationen besagen, dass Sie hier in Barstow geboren wurden, eine Tochter namens Lisa Anne haben, die ebenfalls hier geboren wurde, und dass Sie als Profi für die Chicago Bears gespielt haben.«
»Ich mag es nicht, wenn man mir hinterherschnüffelt«, sagte Rummel, die Zigarette zwischen seinen dicken Fingern brannte herunter, die Glut stand kurz davor, seine Haut zu versengen, unbemerkt. Er hob das Gesicht ein wenig, gleichzeitig zog er die Mundwinkel herab: Verachtung, die Nummer einundvierzig auf Petrovs alter Liste von Gesichtsausdrücken. »Und man kann mich wohl kaum als Profi bezeichnen«, fügte er hinzu. »Bei dem Hungerlohn, den sie uns gezahlt
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