Ausradiert: Thriller (German Edition)
haben.«
Petrov spähte in die Dämmerung hinter ihm, roch ausschließlich maskuline Gerüche; beinah ausgeschlossen, dass eine Frau hier lebte. »Sind Sie immer noch mit Cynthia verheiratet?«
»Wagen Sie es nicht, ihren Namen in den Mund zu nehmen.«
»Ich würde gern mit ihr reden.«
Rummel zwinkerte. »Sie ist verschieden.«
»Wann?«
»Das hätten Sie nicht sagen dürfen, Stadttyp. Sie hätten sagen müssen ›Mein Beileid‹ oder so einen Scheiß.« Rummel hatte ohnehin einen vorspringenden Unterkiefer, jetzt schob er ihn noch weiter vor. »Mir gefällt Ihr Aussehen nicht«, sagte er.
»Warum?«
Rummel schaute flüchtig hinab auf seine Zigarette, die glühende Spitze versengte jetzt seine Finger. Er schnippte die Zigarette nach draußen. »Weil Sie ein kaltherziger Bastard sind«, sagte er. »Das kann man schon von weitem sehen.«
»Ihre Familie steckt in Schwierigkeiten«, sagte Petrov. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
Rummel leerte den Pappbecher. »Kaltherziger Bastard«, wiederholte er mit leicht verschwommener Stimme. »Kümmern Sie sich um Ihre eigene Familie.«
»Von meinen Leuten fehlt keiner«, erwiderte Petrov.
Auf Rummels Gesicht erschienen rote Flecken. »Wissen Sie, was ich noch vor zehn Jahren mit Ihnen gemacht hätte?«
»Was?«
»Das!« Rummel holte zu einem nachlässigen Schwinger aus.
Petrov lehnte sich zurück. Die große Faust verfehlte ihn um zwei, drei Zentimeter, und Rummel taumelte nach vorn, verlor das Gleichgewicht, knallte auf den harten, nackten Boden, um ihn herum glitzerten Mineralien. Petrov ging hinein.
»Amanda?«, rief er. Er hatte eine Ahnung, einfach wegen der Art, in der Rummel ihn am Eintreten hindern wollte. Dunkel und heiß: Petrov eilte einen unbeleuchteten Gang hinunter, durch eine Kombüse, ein Schlafzimmer mit kahler Matratze, ein Hinterzimmer, in dem sich ein Fernseher mit gesprungenem Bildschirm und ein kleiner Ventilator befanden, der sich rasch drehte, aber nichts ausrichtete. Überall Flaschen und Pappbecher; der Gestank von Whiskey und nicht nachgespültem WC; keine Amanda. Petrov riss eine der Blenden auf, ließ etwas Licht herein. Es fiel auf eine CD-Hülle, die auf dem Boden lag. Petrov hob sie auf: Empty Box: Retards Picnic.
»Rummel«, rief er. »Wo steckt sie?« Keine Antwort. Er sah sich nach weiteren Spuren von ihr um – Lipgloss, Schulbuch, Haarband –, entdeckte keine. »Rummel?«
Petrov ging durch den engen Gang zurück. An der Wand hing ein gerahmtes Schwarzweißfoto, vergilbt, verstaubt, schief: das Bild einer Footballmannschaft. Er blieb stehen, um es zu betrachten, größtenteils, um sich zu vergewissern, dass Rummel wirklich mit Dick Butkus gespielt hatte. Aber es waren nicht die Bears, die Gesichter der Spieler waren viel zu jung für Profis, selbst für Kids vom College.
Desert HS Eastern Regional Champions. Drei Reihen von Jungen in Mannschaftstrikots, die auf einer Aluminiumtribüne saßen, in der linken unteren Ecke stand das Jahr: 1950. Petrov musterte ihre Gesichter, konnte den Rummel von damals aber nicht entdecken. Er las die Namen darunter – Georgie Rummel, in der Mitte der ersten Reihe –, ließ den Finger daran entlangwandern. Georgie trug die Nummer 55 und hielt den Pokal: ein großes, nicht lächelndes Kind mit welligen blonden Haaren. Existierten noch Spuren dieses Jungen in George Rummels Gesicht? Nur der nicht lächelnde Teil.
Die Namen in der untersten Reihe holten ihn zurück: Donny Deems, Dickie Conn, Bobby Weathers, Bobby Morris, C. J. Holton, Buddy Hilton, Georgie Rummel, Mel Lippett, Mike Waters, Herm LeBeau, Donny Stone, W. Moore (Trainer), F. Kostelnik (Cheftrainer).
Kostelnik? Kein häufiger Name.
Petrov nahm das Bild von der Wand, ging damit in das helle Licht des Hinterzimmers, betrachtete F. Kostelnik. F. Kostelnik schien nicht wesentlich älter als die Jungen der Mannschaft. Er beobachtete etwas hinter der Kamera, und was immer es auch war, es ärgerte ihn. Petrov erinnerte sich an diesen Ausdruck, beinahe identisch, in Elaines Gesicht.
»Rummel?«
Er sah den langen Gang hinunter, durch das Schlafzimmer und die Küche zum Eingang. Rummel war auf den Beinen, kam wieder herein, umrahmt von goldenem Licht. Das Foto in der einen, die CD in der anderen Hand, ging Petrov ihm entgegen, in seinem Kopf formten sich Fragen. Beinahe hätte er nicht gehört, wie sich eine Tür hinter ihm öffnete. Eine Tür am Gang. Was konnte das sein? Das Badezimmer? Er wirbelte herum – dachte, wie konnte
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