Außer Atem - Panic Snap
werde ich auch jetzt, da sie tot ist, nicht tun.« Seine rechte Hand streicht an meinem Bein hinunter bis zum Knöchel, wo sie sich sanft um die Goldkette legt.
Ich wechsle das Thema. »Wie hieß ich?«, frage ich. »Wie war mein wirklicher Name?«
Er schüttelt leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagt er. »Du hast dich Sophie genannt, aber den Namen hattest du dir ausgedacht. Du warst von zu Hause weggelaufen – das war ziemlich offensichtlich. Du hast nie von deinen Eltern gesprochen, nie erwähnt, woher du stammtest.«
»Und du hast nie danach gefragt?«
»Nein.« Er legt mir die Hand in den Nacken und spielt mit den kurzen Haaren dort. »Es tut mir Leid, dass ich das nicht getan habe.«
In dem dämmrigen Licht sieht sein Gesicht weich aus, ganz ohne scharfe Linien. Selbst die Narbe an seiner Schläfe ist nur ein schwacher Strich, und sein Haar ist seiden und blond.
»Du wirst Gina in Ruhe lassen müssen«, sagt er. »Ungeachtet dessen, dass ich dich liebe, ungeachtet dessen, wie viel mehr ich dich noch lieben werde, werde ich dir nie erlauben, Gina bloßzustellen.«
Ich muss wählen: Gina oder ihn. Die Wahrheit oder ihn. Ich denke an das Haus des Professors. Es ist kalt und leer. Ich bin nur ein Gast dort, wie eine Fremde in einem Hotel. Ich lasse es genauso hinter mir wie all die anderen Apartments und Wohnwagen und gemieteten Zimmer und Wohnungen, in denen ich gelebt und die ich alle nicht als mein wahres Zuhause betrachtet habe. Niemand wartet dort auf mich, niemand fragt mich, ob ich einen schönen Tag gehabt habe.
Und dann ist da das Heim der McGuanes, ein Ort, an dem die
Familie
eine besondere Bedeutung hat. Zwischen James und seiner Mutter – und noch immer Gina – bestehen Bindungen, die nie zerstört werden können. Sie lieben, und sie werden geliebt. Im Tausch gegen Gina bietet James mir das an.
Er beobachtet mich, eine Braue hochgezogen, und wartet auf meine Antwort.
Seufzend nicke ich. »Ich werde sie in Frieden lassen«, sage ich und lege meinen Kopf an seine Brust. Ich spüre einen beginnenden Kopfschmerz. Ich wollte Gerechtigkeit. Ich wollte, dass jemand bezahlt für das, was mir angetan worden ist, dass jemand so leidet wie ich. Ich wollte wenigstens, dass die Wahrheit bekannt wird. Jetzt wird es keine endgültige Abrechnung mehr geben. Ich wähle James statt der Wahrheit.
Er geht zur Arbeit, doch ich bleibe noch. Ich lege den Kopf auf die Arme. Der Schmerz scheint von vorn nach hinten einen Spalt in meinen Kopf treiben zu wollen. Ich habe mein Leben damit zugebracht, der Gerechtigkeit nachzujagen, und jetzt lasse ich sie einfach entschlüpfen. Niemand wird je erfahren, was Gina getan hat. Stundenlang sitze ich da, und Enttäuschung und Bitterkeit schlagen wie Wogen über mir zusammen. Dann denke ich an das, was mir bleibt: James. Nachmittagssonne hellt das Zimmer auf und – obwohl ich versuche, an ihr festzuhalten – auch die Bitterkeit. Schließlich löst sich auch mein Kopfschmerz auf und verschwindet. Ich fühle mich beinahe schwerelos, so als wäre eine Last von mir genommen – die Last der Vergeltung –, und Erleichterung erfasst mich, Erleichterung darüber, dass ich nach all den Jahren im Stande bin, auf die Vergeltung zu verzichten.
28
Es ist noch dunkel, als James aufsteht. Ich höre ihn leise zum Badezimmer gehen. Als er zurückkommt, zieht er sich im Dunkeln an, weil er mich nicht stören will. Er weiß nicht, dass ich schon wach bin. Ehe er geht, wird er zu mir kommen und mich küssen – das macht er immer –, und ich kuschele mich ins Bett, horche auf die leisen Geräusche, die er beim Anziehen macht, und warte auf meinen Kuss. Während der Weinlese steht er immer vor mir auf. Manchmal, wenn er Lust auf mich hat, weckt er mich, sonst lässt er mich schlafen.
Ich höre, wie er sich vor das Bett kniet, und dann fühle ich seinen Arm um mich und seine Lippen leicht auf meiner Wange. Ich öffne die Augen, ziehe einen Arm unter der Bettdecke hervor, taste nach seiner schattenhaften kräftigen Gestalt und spüre den harten Gipsverband an seiner linken Hand.
»Du bist ja wach«, flüsterte er in das samtige Dunkel.
Ich nicke. Seine Hand auf meinem nackten Rücken fühlt sich warm an. Er zieht mich an sich, und ihn zu spüren ist so vertraut, als wäre er eine Ausdehnung meiner selbst. »Möchtest du ficken?«, frage ich. »Wir können es machen, wenn du möchtest. Oder ich kann dich auch lutschen, ehe du gehst.«
Trotz der Dunkelheit sehe ich, dass er
Weitere Kostenlose Bücher