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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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überragte er alle – auch nachher beim offiziellen Phototermin mit dem Hamburger Senat –, und dies empfand ich als durchaus symbolisch.
    De Gaulle hielt in Hamburg drei großartige Reden. Bei seiner Rede vor der Führungsakademie der Bundeswehr erinnerte ich mich an meinen Großvater, der mir als Kind schlimme Geschichten über die »bösen Franzosen« erzählt hatte. Noch 1928 war in meiner Grundschule mit einer Feier an den Tag von Sedan im Herbst des Jahres 1870 erinnert worden, den Tag des Sieges über den »Erbfeind«. Vor diesem Hintergrund möchte ich mir dringend wünschen, daß die Erfahrung der von Frankreich ausgehenden Versöhnung uns Deutschen nicht verlorengeht. Sosehr die Einbindung Westdeutschlands in die europäische Integration im kalkulierten Interesse Frankreichs lag, so sehr entsprach sie den deutschen Interessen (auch wenn dies zu Beginn nicht von allen hierzulande klar gesehen wurde).
    Als ich 1969 als Verteidigungsminister erstmalig von Amts wegen mit auswärtigen Beziehungen befaßt war, lernte ich im NATO-Rat den französischen Kollegen Michel Debré kennen. Er war wesentlich erfahrener als ich, hatte bereits unter de Gaulle als Premierminister gedient und war nach dessen Tod (de Gaulle starb im November 1970) quasi der Siegelbewahrer gaullistischer Traditionen in der französischen Außenpolitik. Dazu gehörten die prinzipielle Ablehnung amerikanischer Führungsansprüche und eine große Skepsis gegenüber England. In bezug auf Deutschland war Debré sehr zurückhaltend. Dennoch haben wir höchst kollegial kooperiert – jeder konnte sich auf das Wort des anderen verlassen–, und sehr viel später ist daraus sogar ein freundschaftliches Verhältnis entstanden.
    Es wird nach dem Gesagten niemanden verwundern, daß ich die sieben Jahre enger Zusammenarbeit und persönlicher Freundschaft mit Präsident Giscard d’Estaing als die glücklichste, weil ganz und gar befriedigende Zeit meines Lebens als Politiker bezeichne. Damals war die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich enger als jemals zuvor – und jemals danach. Wir waren uns zwar schon in Monnets Komitee begegnet, hatten uns aber erst in zwei gemeinsamen Jahren als Finanzminister näher kennengelernt. Als wir uns 1972 das erste Mal in amtlicher Eigenschaft begegneten – bei einer feierlichen EWG-Gipfelkonferenz unter Vorsitz von Präsident Pompidou–, haben wir leise spöttische Witze ausgetauscht über die phrasenreichen Reden, die wir zu hören bekamen.
    Wir hatten ein ernstes Thema zu bewältigen: die Währungskrise zwischen den USA auf der einen und dem Rest der Welt auf der anderen Seite. Washington wollte das seit einem Vierteljahrhundert relativ gut funktionierende weltweite System fester Wechselkurse aufheben, um die USA zu entlasten; denn die Ankerfunktion des US-Dollars machte der amerikanischen Notenbank zu schaffen. Die europäischen Regierungen waren gegen die amerikanische Wechselkurspolitik, hatten aber nicht genügend Macht, Amerika daran zu hindern. Denn um die stetige Abwertung des US-Dollars aufzuhalten, hätten wir in unbegrenztem Ausmaß Dollars kaufen und dadurch unsere eigenen Währungen inflationieren müssen. In dieser diffizilen Zwangslage haben Giscard und ich einvernehmlich operiert. Aus dieser Gemeinsamkeit sind im Laufe weniger Jahre das Europäische Währungssystem (EWS) und der ECU erwachsen – und damit die erfolgreiche Grundlage für den Euro.
    Zwar erlebten wir einige Rückschläge: 1989/90 den Widerstand Mitterrands gegen die deutsche Vereinigung, später die Zwistigkeiten zwischen Jacques Chirac und Gerhard Schröder. Es wird sicher auch künftig manchen Interessenkonflikt und manchen Streit geben. Solange aber die deutschen und die französischen Politiker an der Grundüberzeugung festhalten, daß die beiden Völker einander brauchen, um sich sicher fühlen zu können, bin ich zuversichtlich. Allerdings würde ich mir wünschen, daß die persönlichen Kontakte, die freundschaftlichen Verbindungen zwischen den politischen Klassen und die kollegiale Zusammenarbeit auf allen Ebenen enger werden. Dann ist mir um die Fortsetzung der von Giscard d’Estaing sogenannten deutsch-französischen Entente nicht bang.
    Frankreich wird am Prinzip der europäischen Integration nicht nur festhalten, es wird auch in Zukunft an der Spitze stehen, auch wenn unter den Franzosen immer wieder Besorgnisse wegen einer Gefährdung der Eigenständigkeit Frankreichs auftauchen werden. Jedoch hat allein

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