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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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anerkennen wollen, die der Krieg und Stalin hinterlassen haben.
    Mir ist immer bewußt gewesen, daß Polen gemeinsam mit Frankreich unser wichtigster Nachbar ist. Im Bewußtsein der Notwendigkeit deutsch-polnischer Verständigung habe ich 1966 als Bundestagsabgeordneter einen ersten privaten Besuch in Warschau gemacht; von daher rührt die Verbindung zu Mieczyslaw Rakowski. 1974/75 habe ich mich gegenüber der zunächst skeptischen amerikanischen Regierung unter Gerald Ford für das Zustandekommen der KSZE-Schlußakte in Helsinki eingesetzt und ebenso gegenüber der zunächst zögerlichen sowjetischen Führung für den »Korb III« der gleichen Akte (»Human Aspects of Security«). Die Unterschriften durch Breschnew und die kommunistischen Führer im Osten Mitteleuropas sollten den Freiheitsbewegungen in diesen Staaten helfen. Das hat die Schlußakte von Helsinki in den folgenden Jahren – man denke an Solidarnos´c´, an die Charta 77 – dann tatsächlich auch getan. Aber auch die Festschreibung der Grenzen, welche die Kommunisten in Helsinki als Äquivalent erhielten, war ein Dienst am Frieden. Daß sich die CDU/CSU – gemeinsam mit Albanien – der Schlußakte widersetzte, bezeugte nur die Zähigkeit alter deutscher Ressentiments.
    Mein eigener Versuch, mit der in Opposition stehenden polnischen katholischen Kirche in Kontakt zu treten, blieb allerdings ohne sonderlichen Erfolg. Kardinal Wyszynski war für mich unerreichbar, und auf ein von mir angestrebtes Treffen mit Karol Woityla, dem späteren Papst Johannes Paul II., hat sich der Krakauer Erzbischof nicht einlassen wollen, weil er Konsequenzen in Warschau befürchten mußte. Allein Kardinal Glemp habe ich insgeheim zum Gespräch treffen können. Nach der Wende des Jahres 1989 habe ich viel aus Gesprächen mit Tadeusz Masowiecki, Bronislaw Geremek und Władysław Bartoszewski gelernt, auf deren Wahrhaftigkeit ich mich verlassen habe; was sie mir sagten, war weder politisch verzerrt noch diplomatisch verbrämt.
    Auf polnischer Seite sind noch heute viele Ressentiments gegen die Deutschen zu spüren. Dazu kommt die alte Besorgnis, daß Selbstbestimmung und Identität der polnischen Nation, die eingeklemmt ist zwischen Rußland und Deutschland, gefährdet werden könnten. Den Freiheitsdrang und den besonderen Nationalstolz der Polen habe ich immer als natürliche Reaktion ihrer tragischen Geschichte verstanden und akzeptiert. Nach einem halben Jahrhundert der Unterdrückung, erst durch Hitler, danach durch die Sowjetunion, ist ein seelisches Bedürfnis nach sichtbarer Bestätigung der polnischen Eigenständigkeit und Selbstbestimmung gut zu verstehen.
    Es fällt deshalb manchen Politikern in Polen schwer, den mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union verbundenen Verlust von Teilen der eigenen Souveränität in Kauf zu nehmen. Über lange Zeit konnte der polnische Patriotismus sich nicht äußern. Deshalb wird er bei Verhandlungen und Entscheidungen innerhalb der EU immer wieder hervorbrechen, besonders bei Fragen, die sich im Verhältnis zu Rußland und zu Deutschland ergeben. Tendenzen zu einer Anlehnung an die USA sind deshalb nicht verwunderlich.
    Wir Deutschen müssen von uns selbst Verständnis für die polnische Situation verlangen; unsere Politiker sollten sich bemühen, unsere öffentliche Meinung und unsere Medien darauf einzustimmen. Zum Beispiel sollten diplomatisch-juristische Auseinandersetzungen über die gegenseitige Rückführung sogenannter Beutekunst vermieden werden; entscheidend ist, daß alle Kunstwerke und Bücher dem allgemeinen Publikum und der Wissenschaft international zugänglich sind. Ebenso sollten unsere Politiker der Verfolgung von alten Vermögensansprüchen deutscher privater Bürger gegen heute polnische Besitzer entgegentreten – möglicherweise auch durch Gesetzgebung. Wer als nachgeborener Deutscher vermeintlich ererbte Vermögensansprüche gegen polnische Bürger erhebt und aus dem Schicksal seiner Eltern oder Großeltern Profit schlagen will, der hat aus der Geschichte nichts gelernt. Er schadet den Polen wie den Deutschen, er ist kein guter Nachbar.
    Die Alten, die den Krieg, die Vertreibung und den Verlust ihrer Habe bewußt erlebt haben, wissen längst, daß man eine Revision des eigenen Schicksals vor keiner Instanz einklagen kann. Millionen Deutsche, die im Krieg ihre nächsten Angehörigen verloren, haben ihr Schicksal schon lange als unabänderlich akzeptiert. 1990 wurde der endgültige Verlust der

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