Außer Kontrolle: Thriller (German Edition)
Irgendwann wird er einen Bock schießen, und dann können wir ihm einen Dämpfer verpassen.«
PROVINZHAUPTQUARTIER DER JANDARMA, VAN, REPUBLIK TÜRKEI
Früh am nächsten Morgen
Das Regionalhauptquartier Ost der Inneren Sicherheitskräfte der Türkei, der Jandarma, befand sich in der Nähe des südöstlich der Stadt Van gelegenen Flughafens, unweit des Van-Sees. Der Hauptkomplex des Hauptquartiers bestand aus vier dreistöckigen Gebäuden, die sich um einen großen Platz mit einer Cafeteria mitsamt Sitzbereich in der Mitte gruppierten. Gegenüber dem Parkplatz auf der Nordostseite stand ein einzelnes quadratisches, vierstöckiges Gebäude, in dem das Untersuchungsgefängnis untergebracht war. Südöstlich des Hauptquartiers befanden sich die Kasernen, das Schulungszentrum, die Sportplätze und Schießanlagen.
Das Gebäude des Hauptquartiers lag unmittelbar an der Ipek Golu Avenue, der Hauptverkehrsstraße, welche die Stadt mit dem Flughafen verband. Da das Hauptquartier häufig Angriffen aus vorüberfahrenden Fahrzeugen ausgesetzt war– üblicherweise wurden einfach ein paar Steine oder Müll gegen das Gebäude geschleudert, ab und zu aber zielte auch ein Pistolenschuss oder ein Molotowcocktail auf eines der Fenster–, waren die zur breiten Straße im Nordwesten, zur Sumerbank-Straße im Südwesten und zur Ayak-Straße im Nordosten weisenden Seiten des Komplexes durch eine drei Meter hohe, verstärkte Betonmauer abgeschirmt, die mit Malereien und Mosaiken, aber auch mit einigen Anti-Jandarma-Graffiti verziert war. Sämtliche Fenster auf dieser Seite bestanden aus kugelsicherem Glas. Auf der Südostseite gab es keine solchen Schutzmauern; aufgrund des ständigen Gewehrfeuers auf den Schießanlagen Tag und Nacht, der immerwährenden Gegenwart von Auszubildenden von Polizei und Jandarma und der weiten, offenen Fläche zwischen Schießstand und den Hauptgebäuden wurde das Gelände lediglich von einem vier Meter hohen, beleuchteten, verstärkten und mit Stacheldraht bekrönten Maschendrahtzaun umgrenzt, der von Kameras und Patrouille fahrenden Pick-ups bewacht wurde. Die Nachbarschaft rings um den Komplex bestand aus einem Gewerbegebiet, das nächste Wohngebiet war ein vier Querstraßen entfernter Apartmentkomplex, hauptsächlich bewohnt von Offizieren, Bediensteten und Ausbildern des Schulungszentrums der Jandarma.
Im Schulungszentrum wurden Vollstreckungsbeamte aus der gesamtem Türkei ausgebildet. Die Absolventen wurden den Polizeidienststellen der Städte oder Provinzen zugeteilt, oder aber sie blieben zur weiteren Ausbildung, um entweder Offiziere der Jandarma zu werden oder aber die fortgeschrittenen Klassen in den Fächern Aufruhrbekämpfung, Spezialwaffen und Taktiken, Bombenentschärfung und -räumung, Antiterroroperationen, Nachrichtendienst, Betäubungsmittelverbot und Dutzenden weiterer Spezialgebiete zu belegen. Das Schulungszentrum verfügte über einen Stab von einhundert Angestellten und Ausbildern, und eingeschrieben waren ungefähr eintausend vor Ort wohnende Studenten.
Neben dem Gewehrfeuer der Ausbildungs-Schießstände gab es eine weitere Konstante im Jandarma-Komplex: Demonstranten. Im Untersuchungsgefängnis waren um die fünfhundert Gefangene untergebracht, größtenteils mutmaßliche kurdische Aufständische, Schmuggler sowie im Grenzgebiet aufgegriffene Ausländer. Die Einrichtung war kein Gefängnis und nicht für Langzeitinhaftierung gedacht, dennoch saß ein Fünftel der Gefangenen bereits seit über einem Jahr dort ein und wartete entweder auf seine Verhandlung oder seine Abschiebung. Die Proteste waren meist überschaubar– Mütter oder Ehefrauen, die Schilder mit Bildern ihrer Lieben hochhielten und Gerechtigkeit forderten–, bisweilen waren sie jedoch auch größeren Ausmaßes, und gelegentlich schlugen einige sogar in Gewalttätigkeiten um.
Die Demonstration, die an jenem Morgen ihren Anfang nahm, begann groß und schwoll rasch an. Das Gerücht hatte die Runde gemacht, die Jandarma hätten Zilar Azzawi aufgegriffen, die berühmt-berüchtigte kurdische Terroristenführerin mit Spitznahmen Habicht, und man würde sie foltern, um an Informationen zu gelangen.
Die Demonstranten hatten die Ipek Golu Avenue abgeriegelt und blockierten sämtliche Zufahrten in den Jandarma-Komplex. In den Jandarma reagierte man schnell– und mit Gewalt. Das Schulungszentrum staffierte sämtliche Auszubildenden mit Schutzausrüstungen aus und massierte die Kräfte um das Untersuchungsgefängnis, für
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