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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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gleich, dass wir auf der Suche seien, haha, wer sei das nicht? Wo er denn hinfahre? In den Süden, blöde Frage! Wieder ein kindisches Kichern. Natürlich hätten wir gar nicht einsteigen sollen. Kaum waren wir losgefahren, fing er an zu kiffen und zu saufen. Sebastian bat ihn, damit aufzuhören. Der Hippie grölte was von Spießer und uncool, so was von uncool. Er sei nach Indien und Afghanistan getrampt, nach Pakistan und sonst wohin, damals. Ich fackelte nicht lange. Mir wurde schlecht. Wenn es nötig war, konnte ich sogar auf Kommando kotzen. Ich würgte. Obwohl er den Trick natürlich durchschaute, fand der Hippie das gar nicht lustig. Beim nächsten Rastplatz hielt er an und warf uns raus. Es ging schon gegen Abend. Wir setzten uns an einen der Tische und ich packte unsere Sandwichs aus. Es war warm. In der Ferne wetterleuchtete es. Im Südwesten. Dort wo wir hinwollten.
    Zwei Tage später kamen wir an. Der Kutter hieß Avenir und lag gemütlich dümpelnd an der Kanalmauer. Dort, wo der Canal du Midi in den Étang de Thau mündet, Les Onglous, letzte Landestelle. Ein bauchiges, kleines Schiff mit zwei kurzen Masten, gedacht für notdürftige Segelmanöver. Thomas war allein. Drei andere hätten kommen sollen, nur waren sie bisher nicht gekommen. Die Luft flirrte über dem kargen Sandland. Gelbtrockene Grasbüschel, dürres Buschwerk, keine Bäume, kein Schatten. Aber es war eine schöne, trockene Hitze. Man setzte sich ihr ohne Bedenken aus. Möglichst wenig Kleider am Leib. Der Wind, der vom Meer herkam. Man glaubte zu spüren, wie die Haut sich bräunte.
    Umfasst von einem bizarr verrosteten Geländer, säumte ein langer Pier die Mündung des Kanals, an seiner Spitze stand ein Leuchtturm. Lass uns erst baden gehen, sagte Sebastian. Thomas hatte keine Lust. Passt auf, sagte er, es gibt Feuerquallen. Zum Ende des Sommers wollte Thomas mit dem Kutter auf Wasserstraßen bis hinauf nach Berlin tuckern und in Zukunft auf dem Schiff leben. Sein Zimmer werde er aufgeben, sagte er. Er habe schon einen Liegeplatz am Langen See in Grünau.
    Sebastian nahm Anlauf und sprang. Dabei juchzte er und zappelte mit den Beinen. Ich stieg die Steintreppe runter und ließ mich vorsichtig ins Wasser gleiten. Wir schwammen weit hinaus. Keine Feuerquallen. Es war ja nur eine Lagune, nicht das richtige Meer, aber mit den Augen wenige Zentimeter über der Wasserfläche, sah man nirgends ein Ufer. Es roch nach Salz, nach Diesel und ein bisschen nach Fisch. Jäh kam die Angst. Angst vor der Tiefe unter mir. Hundert Meter, zweihundert? Etwas Kaltes glitschte entlang meiner Beine. Ich bildete mir Schlingarme ein. Ich schrie um mein Leben. Sebastian witzelte erst. Ich schluckte Wasser. Ich hustete, japste, rang nach Luft. Er nahm mich huckepack und schwamm zum Pier zurück. Erst als ich wie ein Häufchen Elend in einer großen Pfütze auf dem warmen Beton lag, konnte ich versuchen, ihm zu erklären, was eigentlich passiert war: Gar nichts. Ich hatte manchmal solche Panikattacken. Zum Beispiel in offenem Wasser, egal, ob tief oder nicht. Den nackten Bauch schutzlos den Glibbertieren und Raubfischzähnen ausgeliefert. Keiner wisse, und Sebastian solle bitte jetzt nicht das Gegenteil behaupten, was für Kreaturen eigentlich im Meer auf Beute lauerten. Ein Krake, stammelte ich, an meinen Beinen, ich habe die Saugnäpfe gespürt, ehrlich! Sebastian sah mich etwas ratlos an. Zugegeben, es ist schwer zu erklären. Ich hätte nicht so weit rausschwimmen sollen, sagte ich deshalb einfach. Sebastian nahm mich in den Arm. Ich war froh.
    Die Dünung klatschte an die grob behauenen Steine der Mauer. Ein verworren rhythmisches Geräusch, das einen zwangsläufig müde macht. Wir schliefen ein in der Sonne. Salz trocknet auf der Haut, bildet Krusten, millimeterdick. Gut gepanzert gegen die rohe Fauna der Tiefsee. Ein Schwarm Quallen, von der Strömung getrieben, in allen Farben des Lichts schimmerndes Gallert. Nesselhaar. Gischt fegt über Deck. Die Wellen reiten!, schreit Thomas gegen den Wind. Mit beiden Beinen fest auf den Planken des Seelenverkäufers, fahre ich allein aufs offene Meer hinaus. Westwärts. Ankämpfen gegen Mitternachtswinde. Knattern der Segel, ohrenbetäubend. Über den Sandweg knatterte ein Moped.
    Sebastian drehte sich zu mir. Ich fühlte seine warme Hand über meinen nackten Rücken streichen, liegen bleiben. Wir sollten hier nicht in der prallen Sonne schlafen, murmelte er, gehen wir rüber in den Schatten des Leuchtturms, und

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