Außer sich: Roman (German Edition)
gut, sagte ich.
Der Tierarzt zog die Spritze auf. Keine Angst, sagte er, das ist nur ein starkes Beruhigungsmittel. Er wird tief schlafen. Er wird nichts spüren. Alles gut, Rufus, sagte ich. Für die erste Spritze mussten wir ihn festhalten. Viel Kraft, sich zu wehren, hatte er nicht mehr. Ist ja gut, sagte der Tierarzt, gleich ist es vorbei. Schnell erschlaffte der Katzenkörper, das Maul ging etwas auf, die Zunge rutschte seitlich heraus. Ich bettete ihn mir auf den Schoß. Der Tierarzt zog die zweite Spritze auf. Er tastete zwischen den Rippen nach dem Herzschlag. Er stach die Nadel direkt ins Herz, presste den farblosen Inhalt des Kolbens langsam hinein. Mit dem Stethoskop horchte er an Rufus’ Brust, nickte.
Es tut mir leid, sagte er.
Ja, sagte ich.
Ich versuchte, Rufus’ Augen zu schließen. Es ging nicht, sie öffneten sich immer wieder. Das Fell war fettig und zu lang, ich strich darüber, glättete und streichelte und es wurde doch nicht schöner. Wie dünn das Katertier war, nur noch Knochen und Fell und der Kopf so riesig. Auf den Augen sammelte sich Staub. Ich versuchte wieder, sie zu schließen. Tieraugen lassen sich nicht schließen, sagte der Tierarzt. Er saß am Tisch und schrieb die Rechnung. Sie können ja überweisen oder in die Praxis kommen. Er stand auf, gab mir die Hand und ging.
Vorsichtig trug ich Rufus ins Bad. Ein Tier, das zu Lebzeiten so auf Reinlichkeit bedacht war, durfte man nicht voller Schmutz ins Jenseits schicken. Ich füllte das Waschbecken mit lauwarmem Wasser. Ich badete den Körper, wusch die Reste von Kot und Urin aus dem Fell, föhnte es trocken danach. Ich setzte mich hin, Rufus auf dem Schoß, streichelte ihn, bis der Leichnam steif zu werden begann. Erst der Hals, die Vorderbeine, der Rücken. Ich wickelte ihn in eine Wolldecke und legte ihn hinaus auf den Balkon. Morgen würde ich ihn an einem schönen Ort begraben.
Ich räumte das Katzengeschirr weg, säuberte das Katzenklo. Warf das Katzenfutter, das noch übrig war, in den Müll, brachte den Müll hinunter. Ich putzte die ganze Nacht lang die Wohnung. Am Morgen roch es immer noch nach Rufus. Rufus’ Geruch war seit Langem der Geruch von abgestandenem Futter, von Urin und Kot gewesen. Auch Sebastians Geruch war der von Kot. Seit Langem. Wo waren die guten Gerüche?
Durch den Morgenverkehr fuhr ich hinunter nach Grünau, am Adlergestell kaufte ich in einem Baumarkt einen Spaten. Der Parkplatz vor dem Ruderklub am Langen See war voller Schlaglöcher, in denen noch Wasser vom letzten Regen stand. Die Tore zu, verrammelt, niemand zu sehen. Ich ging ein Stück den Zaun entlang, fand ein Loch, schlüpfte durch. Der Platz, an dem die Avenir gelegen hatte, war immer noch frei. Ob es den Klub überhaupt noch gab, alles sah so verlassen aus. Unter den Bäumen, nahe dem Ufer, grub ich ein Grab. Schmal und hoffentlich tief genug. Ich legte das Bündel behutsam in die Erde. Tschüss, Rufus, machs gut, Lieber. Gute Reise! Auch von Sebastian. Ich schaufelte das Grab zu, drückte die Erde fest, legte ein paar Steine darauf, streute Laub darüber. Vielleicht würde ich ihn einmal wieder besuchen. Man sah kaum etwas. Ich merkte mir die Stelle. Als ich mich zum Gehen wandte, flog ein Bussard auf. Er zog längs des Wassers davon.
Fünfundachtzig Euro kostete es, ein Tier einschläfern zu lassen, inklusive Anfahrt, Nachtzuschlag und Mehrwertsteuer. Keiner saß im Wartezimmer. Die Sprechstunde war wohl gerade zu Ende. An der Wand hingen Tafeln mit den Hunderassen und den Katzenrassen dieser Welt. Faltblätter mit Tipps zur richtigen Vorsorge. Impfungen, Wurmkuren. Der Tierarzt fragte nicht, was ich mit Rufus gemacht hatte. Eigentlich hätte er ihn gestern mitnehmen müssen. Hätte ihn beim Abdecker in eine Tonne voller halb verwester anderer Katzen und Hunde werfen müssen. Also dann, sagte ich und gab ihm die Hand, danke. Er hielt meine Hand und sah mir dabei in die Augen. Wahrscheinlich wollte er mich nur trösten, so wie man eben Kunden tröstet, die gerade ihr Tier verloren hatten. Ich aber erinnerte mich plötzlich daran, wie es ist, jemandem länger als flüchtig in die Augen zu schauen. Er war ein großer Mann, etwa in meinem Alter. Die Hand fühlte sich kräftig an. Seine Stimme hatte einen weichen, seltsam zärtlichen Klang. Das war mir bisher nie aufgefallen. Man fühlte sich beschützt von dieser Stimme. Dabei erklärte er doch nur tiermedizinische Zusammenhänge oder nannte den Preis für das Einschläfern eines
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