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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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Ich machte mir Kaffee. Ich sah einen Schatten im Augenwinkel huschen. Rufus?! Nein, blöd, Rufus ist ja gar nicht mehr da.
    Zur Arbeit. Müde oder nicht, spielte keine Rolle. Die Bahn hatte Verspätung. Ich schlenderte den Bahnsteig auf und ab. Man blickte mir nach. Hatte ich ein Mal auf der Stirn oder Essensreste im Mundwinkel? Hatte ich gekichert oder mit mir selbst gesprochen? Direkt gegenüber dem Bahnhof lag das Einkaufszentrum. Es öffnete erst um neun. Auf halber Höhe hing eine Gondel, ein Fensterputzer stand darin und biss in einen Apfel. Ich zündete mir eine Zigarette an. Bevor sich jemand beschweren konnte, kam die Bahn, und ich warf die Kippe ins Gleisbett.
    Alle waren im Konferenzraum. Eine große Sache, Erwin war seit Wochen aus dem Häuschen, sie hatten sich für einen Bürokomplex beworben. Greta, die neue Praktikantin, ging an meiner Tür vorbei, ein Tablett Kaffeebecher balancierend, ich nickte ihr zu.
    Katja? Erwin stellte ein Körbchen mit Croissants vor mich hin und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Der Stuhl ächzte. Geschafft, sagte er. Und strahlte übers ganze Gesicht. Wir haben ihn. Echt? Gratuliere!
    Katja, sagte er und richtete sich auf, so gerade es eben ging, du weißt, ich hätte dich wirklich gerne dabei! Erwin trug immer dunkle Hemden, dazu Krawatten mit lustigen Motiven. Diesmal war es eine mit kleinen Trommeln darauf. Mit Blechtrommeln, rot-weiß gezickzackt. Er hatte den Knoten gelockert, ein Zipfel des Hemds hing über die Hose. Sei mal ehrlich, das hilft ihm doch auch nicht, wenn du hier Klötzchen stapelst! Erwin! Dieses Projekt bedeutet zweihundert Prozent Einsatz. Selbst wenn ich wollte, ich habe die Zeit einfach nicht. Wenn ich wollte, wenn ich wollte, äffte er mich nach. Er meinte es nicht böse. Natürlich nicht.
    Aber du willst doch gar nicht. Sag mir, warum willst du nicht? Ich konnte es nicht erklären. Ich konnte nicht erklären, warum mich nicht mehr interessierte, wofür ich früher alles getan hätte. Erwin, hör auf! Das ist deine Chance, Katja, du musst doch auch an später denken. Ich sah ihn an. Entschuldige, sagte er, das habe ich nicht so gemeint. Kannst du dir bitte mal vorher überlegen, was du wie meinst? Er hob die Hände, ist ja gut! Entschuldige. Aber ehrlich, seit das passiert ist (schlimm, keine Frage!), muss man dich mit Samthandschuhen anfassen. Ich nahm mir ein Croissant. Bitte, Erwin. Lass mich einfach meine Arbeit tun.
    Er zuckte die Schultern und stand auf. An der Tür drehte er sich nochmals um und lud mich zur Party ein, heut Abend, sagte er, um halb acht bei mir. Ich rechne mit dir!
    Heute Abend würde ich zu Sebastian fahren.
    Danke, mal schauen.
    Jemand muss das ja entscheiden! Der behandelnde Arzt rasierte sich, während er mir sagte, die Krankenkasse habe die Kostenübernahme für Sebastians weiteren Verbleib in der Klinik aufgrund seines Gutachtens abgelehnt. Bin ich im falschen Film, dachte ich die ganze Zeit, rasiert der sich ungeniert, während er mit mir über unsere Zukunft spricht. Wir müssen uns, sagte er, wohl mit dem Status quo abfinden. Wir! Nach Monaten ohne Veränderung. Ohne Besserung, geschweige denn Heilung. Also bezahlt die Krankenkasse auch keine weiteren rehabilitativen Maßnahmen. Der Arzt klopfte den Elektrorasierer aus, blies die Reste aus den Ecken, wickelte das Kabel um das Gerät und verstaute es in seinem Schreibtisch. Tut mir leid. Er drehte sich um. Ich kanns auch nicht ändern.
    Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf. Suchen Sie einen Platz in einem Heim. Er setzte sich an den Schreibtisch. Das Fenster hinter ihm zeigte nichts als die weiße Wand des gegenüberliegenden Gebäudes, durchschnitten von drei kahlen Kletterranken. Glauben Sie mir, wenn Sie ihn zu Hause pflegen, werden Sie ihn hassen. In einem halben Jahr schon werden Sie ihn aus tiefstem Herzen verabscheuen. Und Sie werden sich selbst dafür hassen, dass Sie ihn hassen. Er sah mich über Stapel von Akten hinweg an. Das Zimmer war nicht eingerichtet, es war eine chaotische Anhäufung von medizinischen Fachbüchern, Zeitschriften, Papier. Beschriebenem und unbeschriebenem Papier. Ein Schreibtisch, darauf ein Computer. Neonlicht. Besuchen Sie ihn so oft wie möglich. Bringen Sie ihm Blumen an Ihrem Hochzeitstag, genießen Sie das Zusammensein. Der Piepser ging, sorry, sagte er, die Fortbildung. Immer freitags.
    Als ich spätabends nach Hause kam, war die Straße beleuchtet vom Widerschein rotierender blauer Lichter. Dazu war es seltsam

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