Außer sich: Roman (German Edition)
Dorfbebauung, Feldsteinscheune, Siedlerhäuser. Verheiratet, zwei Kinder. Seine Frau sei Flötistin. Musikerin. Es sollte ein voll ausgestattetes Wochenendhaus werden, ein Refugium.
Es war nett, sagte ich, richtig gut sogar. Wir werden nächste Woche zusammen hochfahren und uns alles ansehen.
Der Wein kam, das Essen.
Während sie, zurück im Büro, drüben im Sitzungszimmer weiter über die Kosten stritten, fuhr ich den Computer hoch und suchte nach Hillenkamp, dem Haus in den neuseeländischen Bergen. Es würde nicht in die Uckermark passen. Dennoch schaute ich es mir lange an.
Dann gab ich »Thomas Senftenberg« ein. Ich fand: Rechtsanwalt, Gebäudereinigung, Facebook, eine Schülerliste des Colleges in England. Ich klickte darauf: keine Fotos. Weiter: Senftenberg Architekten BDA, das Büro von Thomas’ Vater. Tolle Webpräsenz. Fotos der Leitung, der Mitarbeiter, Thomas war nicht darunter. Ärzte, ein Pfarrer. Thomas Senftenberg-Douglas, Politiker in Santa Cruz, Kalifornien. Ich klickte auf den Politiker, Kandidat der Demokraten für irgendeine Wahl. Ein kleines Foto. Ich vergrößerte. Pixelig, unscharf, der Thomas auf dem Foto hatte eine Glatze, dennoch, eine gewisse Ähnlichkeit. Der Lebenslauf war bruchstückhaft. Deutscher, ja, seit dem Jahr 1995 in den USA. Könnte passen. Studium der Geschichte und Politologie in Los Angeles. Verheiratet mit Amber Douglas, zwei Kinder, ein Hund. Hmm. Das Alter würde stimmen. Aber sonst?
In his free time he likes to hike the Big Sur coast line, paddle on the bay in his kayak, or climb Sierra peaks. He is a passionate bread baker. For five seasons he has also been singing in the Bach Festival chorus
.
Ich suchte nach einer Telefonnummer. Fand keine. Öffnete das kalifornische Telefonbuch. Nichts. Klar, die würden ja nicht einfach die Privatnummer eines Politikers ins Internet stellen. Aber die Nummer der Santa Cruz County Democratic Party fand ich. Nur so zum Spaß, ohne weiter darüber nachzudenken, wählte ich, wartete. Ich stand auf, ging umher. Setzte mich wieder hin. Nach dem siebten Klingeln legte ich auf, froh, dass niemand abgenommen hatte. Noch einmal sah ich mir das pixelige Foto an. Kein Bart jedenfalls, kein Seebärenbart. Und auch keine Kapitänsmütze mehr.
Paddle on the bay in his kayak
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Passionate bread baker
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War das alles?
Ich klickte das Fenster zu.
Ich dachte an Thomas’ keckes, verschmitztes Lachen, das Blitzen seiner immer etwas traurigen Augen unter dem Schirm der Kapitänsmütze, an sein Äffchengesicht, das so gar nicht zu einem ordentlichen Capitano passen wollte. Hatte er sich sehr verändert mit den Jahren? So sehr verändert, dass ich ihn, stünde er plötzlich vor mir, nicht mehr erkennen würde?
Ich war mir nicht sicher, ob ich wissen wollte, was aus Thomas geworden war.
Ich öffnete die privaten Mails: Spam und eine Mail von David. Immer noch, immer wieder, aber sie wurden seltener.
Ich löschte.
Ich lud mir Lührs’ Landschaftsbilder runter. Eine Eiche als Solitär am westlichen Rand. Verteilt auf dem gesamten Grund, alte Obstbäume. Das Gelände sei bereits als Bauland ausgewiesen, hatte mir Lührs versichert. Ich rief bei der Gemeinde an und ließ mir einen Flurplan zufaxen. Ich hätte gerne gewusst, was mit der Avenir geschehen war. Ich nahm den Skizzenblock. Begann die Senke zu füllen. Satteldach, Flachdach. Einstöckig, zweistöckig. Blatt um Blatt landete im Papierkorb. Einige der Apfelbäume würden gefällt werden müssen. Die Eiche natürlich nicht. Feldstein und Klinker waren in der Uckermark die vorherrschenden Materialien. Holz nicht. Höchstens als Giebelblenden. Ich probierte Holz. Erwin streckte den Kopf zur Tür rein, nickte mir zu, ging wieder. Warum eigentlich nicht Holz? Es würde zu Lührs passen. Warum? Weiß ich nicht. So ein Gefühl halt.
Lührs fuhr ruhig und schnell. Er telefonierte fast die ganze Zeit. Eigentlich geht das gar nicht, sagte er, mitten unter der Woche hier hochzufahren, eigentlich geht es nie. Und vermutlich werden wir auch selten Wochenenden in dem Haus verbringen. Die Autobahn hatten wir verlassen und fuhren jetzt durch einen Wald auf einer ziemlich kaputten, gewundenen Straße. Lührs’ Handy hatte keinen Empfang mehr, er schaltete es aus. Aus dem Wald, über offenes Land, Felder, Windparks, wieder Wald.
Sie hatten das Grundstück von Lührs’ Großvater geerbt. Es lag am Rand eines Dörfchens, eines Weilers eigentlich nur. Nicht mehr als eine Handvoll Häuser. Es war noch
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