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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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schöner als auf den Fotos. Trotz Winter. Trotz schlechten Wetters. Wir standen in der Senke am tiefsten Punkt. Der Boden unter unseren Schuhen war matschig, das Gras gelb. Lührs ging umher. Ich weiß schon jetzt, sagte er, den Kindern wird es hier langweilig sein. Sobald sie alt genug sind, werden sie in der Stadt bleiben wollen. Keine Windräder. Die Linie des Horizonts war unversehrt. Meine Frau, sagte Lührs, wird auch nicht oft hier sein wollen. Ihre Freunde sind alle in der Stadt, sie fühlt sich auf dem Land leer, sagt sie, irgendwie verloren. Von ferne hörte man die Autobahn. Die Autobahn hört man nur, sagte Lührs, bei Regen oder abends, wenn die Luftfeuchtigkeit steigt. An den Bäumen hingen noch Äpfel. Rotes, verschrumpeltes Obst. Lührs pflückte einen und biss hinein. Verzog das Gesicht. Großvater ist vor dem Herbst gestorben, sagte er, bevor die Äpfel reif waren. Er hat sie immer in die Mosterei gebracht, zum Essen sind sie zu sauer. Im Grunde möchte nur ich hier sein. Er spuckte das Stück Apfel ins Gras. Das tut mir leid, sagte ich, etwas Besseres fiel mir gerade nicht ein. Es ging mich ja auch gar nichts an. Sind Sie verheiratet? Ich nickte.
    Ich lasse Sie noch einen Moment allein. Ich sah ihn an. Mir ginge das jedenfalls so, sagte er fast entschuldigend, ich müsste jetzt einen Moment allein sein, um den Ort ganz zu erfassen. Er senkte den Blick, wandte sich um. Ich warte im Auto.
    Bestand des Dorfes war überwiegend Backstein und Feldstein. Einige sauber gedämmte und in leuchtenden Farben verputzte Einfamilienhäuser da und dort. Rudimente einer Feldsteinmauer zogen sich entlang eines flachen Grabens, endeten im Wäldchen am östlichen Rand. Bäume und Sträucher ohne Laub. Im Sommer würden die farbigen Punkte der renovierten Häuser nicht mehr zu sehen sein. Weit offen die Sicht nach Südwesten. Offen zum Wetter. Die Sonne stand matt über dem Wald. Kaum Kontraste, fahles Licht. Ich verließ das Grundstück und ging seitlich einen Wiesenweg entlang. Bis zu einem Weiher ziemlich genau unterhalb. Von hier aus sah man hinter dem Grundstück das Dach einer großen Scheune. Ich machte Fotos. Ich umrundete die Weide, wanderte quer durch die Aussicht des Hauses, das noch nicht stand.
    Die Scheiben waren leicht beschlagen. Ich öffnete die Beifahrertür. Lührs hatte den Sitz nach hinten geklappt. So saß er da, den Kopf etwas seitwärts gedreht, gehalten von der Nackenstütze, die Augen geschlossen. Das schwache Licht der Innenbeleuchtung ließ sein Gesicht bleich erscheinen, grau. Das Radio spielte leise klassische Musik, die Standheizung lief. Herr Lührs! Ich packte ihn am Arm. Da öffnete er die Augen und richtete sich auf. Ich sah ihn an. Ich glaube, ich stierte ihn an.
    Was ist denn?
    Ich schüttelte den Kopf. Senkte den Blick, sah auf meine Hände. Ich versuchte, sie still zu halten, das Beben zu kontrollieren.
    Ganz hervorragende Lage, sagte ich, wirklich toll!
    Nicht? Finde ich auch!
    Wir fuhren zurück, redeten nicht viel.
    Vom Fenster meines Büros sah man über den Park. Auf das Freilichttheater vorne an der Spree. Eine Holzhütte, eine grüne Plane. Ein rot-weißes Flatterband. So wartete das Theater auf die nächste Saison.
    Ich nahm den Skizzenblock aus der Schublade. Diesmal brauchte ich nur wenige Blätter. Die Landschaft im Kopf, den Ort, die Gerüche und Geräusche, die Winde, das Licht. Ein flacher, geschwungener Baukörper. Ein großes Fenster, vom Boden bis zur Decke, die gesamte Front umspannend. Ein Fenster, das die Landschaft aufnimmt und gleichzeitig prägt. Von unterhalb, vom Weiher aus, sähe man den Himmel darin, die Wolken. Ein Himmelsfenster im kargen Duktus dieser nördlichen Hügellandschaft, einseitig vom Wäldchen leicht verschattet.
    Inszenierter Ausblick: Im Nebel die Äste der Bäume bis in die feinsten Verzweigungen bemäntelt mit Eisnadeln. Stufen von Grau und Weiß. Im Frühjahr das helle Grün der Knospen, der jungen Blätter. Ein sich konsequent veränderndes Panorama.
    Ebenfalls über die ganze Breite im Erdgeschoss eine Terrasse, unterbrochen von einer Treppe, die hinunter in den Garten führt. Die Fassade gefasst mit schmalen, vertikal laufenden Holzpanelen. Fundament und Seitenwände Feldstein. Oder Natursteinschichtung. Ein sachliches Haus im Kontrast zu der üppig und bizarr gewachsenen uralten Eiche. Die geschwungene Form aber synchron mit der weichen Rundung des Waldrands, mit dem Relief der Senke, der Hügel. Die Oberflächen innen Schiefer,

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