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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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kreisen um den Ankerpunkt. Kein Seegang.
    Es wird Nacht über diesem weltfremden Land. Wir liegen auf Deck. Ich ziehe dir den Schlafsack bis unters Kinn, damit du nicht frierst. Umfasse dich mit meinem Arm, damit du nicht verloren gehst. Nichts ist zu hören, keine Discomusik, kein Zirpen von Grillen. Schau mal, sagt Sebastian plötzlich und zeigt zum Horizont. Riesig und blau und wahrhaftig und zart geht dort die Erde auf. Man kann die Schlieren der Wolken sehen, die Meere. Kontinente und sogar einen Pol.
    Klopfen. Klopfen mit Knöcheln auf Planken. Was ist das? Wer bloß macht so einen Lärm mitten in der Nacht? Klabautermann, bist du das? Ich stand auf, legte die Kleider über die Stuhllehne. Das Klopfen hörte nicht auf. Jemand klopfte an unsere Tür. Ich sah auf die Uhr. Es war zehn vor zwölf.
    Jana! Du?
    Komm rein. Wir umarmten uns. Ich war grad in der Gegend. Sie ging ein paar Schritte auf hochhackigen Schuhen, sie schwankte, ich fürchtete, sie würde umknicken. Sie ließ sich aufs Sofa fallen. Krieg ich auch ein Glas? Ich holte ein zweites Glas aus der Küche. Und, wie gehts? Großartig! Ich war heute in der Schaubude,
Anna Karenina
. Tolle Inszenierung, von meinem alten Dozenten. Wollte ich mir unbedingt ansehen. Danach haben wir noch was getrunken. Musst du nicht nach Hause? Die Kinder, die Tiere? Meine Eltern sind da und passen auf. Und Bernd? Jana, was ist los? Nichts, mir gehts richtig gut. Sie lachte. Sie gluckste, kicherte. Tränen liefen ihr über die Wangen vor lauter Lachen. Ich versuchte mitzulachen, aber ich war nicht betrunken. Nach einer Weile merkte ich, dass sie nicht mehr lachte. Sondern weinte. Ich setzte mich neben sie und nahm sie in den Arm, fragte nichts.
    Bernd ist weg, sagte sie. Wie weg, verreist? Nein, sagte sie, weg halt, er hat uns verlassen. Er hatte schon eine ganze Zeit ’ne jüngere Freundin. Eigentlich getraue ich mich gar nicht, das zu erzählen. Weil ich sicher war,
das
passiert dir nicht. Weil ich gedacht habe,
dieser
Mann ist anders, geglaubt, wir seien ein wirklich gutes Team. Weil man sich so selberschuld fühlt. Weil er sagt, er könne nichts dafür. Er habe ja versucht, sich dagegen zu wehren. Aber
es
sei stärker gewesen, bla bla bla.
    Sie trank fast die ganze Flasche alleine aus. Ich holte Bettzeug und bezog das Sofa. Ich half ihr aus den Kleidern. Ich deckte sie zu. Machte das Licht aus.
    Ich hätte ihr gewünscht, dass sie zusammen hätten alt werden können. Aber Bernd wollte offenbar nicht alt werden.
    Am Morgen legte ich ihr einen Schlüssel hin. Im Kühlschrank, schrieb ich auf einen Zettel, ist alles, was du brauchst zum Frühstück. Nimm einfach, fühl dich wie zu Hause!
    Abends war die ganze Wohnung aufgeräumt. Nur Sebastians Kleider hatte sie nicht angerührt. Auf der Rückseite des Zettels stand: Danke. Mit drei Ausrufezeichen. Den Schlüssel hatte sie mitgenommen.
    Stufe um Stufe stieg ich die fünf Stockwerke bis zur Walfischgruppe hinauf. Wal-fisch, Wal-fisch. Außer Atem kam ich oben an. Katja? Wartest du bitte noch einen Moment, rief Therese aus dem Büro, bin gleich bei dir. Sebastian saß in seinem Zimmer auf dem Bett. Er bearbeitete hektisch sein Kettchen und brummte. Ich setzte mich neben ihn. Ich nahm seine Hand, streichelte die Finger. Auf dem Handrücken hatte er neue Bisswunden. Sie waren schon leicht verschorft. Am Unterarm waren Druckstellen. Druckstellen von Fingern. Bastian, was hast du denn da gemacht?
    Ich packte das neue Kettchen aus. Eins mit großen farbigen Perlen. Runde Perlen und eckige Perlen abwechselnd. Vorsichtig entwand ich seinen Fingern die alte, zerschlissene Kette. Erst stutzte er. Das Brummen hörte kurz auf. Dann glitten seine Finger über die ungewohnten Formen. Tasteten, fühlten. Die neuen Perlen klapperten anders. Heller, klarer manche, andere dumpf und weich. Einen Moment lang fürchtete ich, er könnte mit der neuen Haptik nichts anfangen. Doch dann ließ er zwei laute Trompetentöne hören, warf den Kopf auf die andere Seite und seine Finger begannen zu arbeiten.
    Ich zog ihm Schuhe und Jacke an. Legte die Wollmütze aufs Bett. Setzte mich neben ihn. Vor dem Fenster bildeten die dunklen, blattlosen Kronen der Linden ein pittoreskes Muster, dahinter waren die obersten Stockwerke des Plattenbaus jenseits des Platzes zu sehen. Ein Mann stand auf einem der Balkone und rauchte.
    Therese begrüßte mich nicht in der gewohnten fröhlichen Weise, sie hatte Augenringe und eine knallrote Nase. Kommst du mit ins

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