Aussicht auf Sternschnuppen
glücklicheren Menschen zu machen. Schön blöd, oder?“ Ich schaute auf und erwartete einen flapsigen Spruch von Nils. Doch der erfolgte nicht.
„Finde ich nicht“, meinte er und sah dabei ein wenig verlegen aus. „Wünscht es sich nicht jeder von uns, einen Menschen zu finden, für den er etwas ganz Besonderes ist?“
Sein Blick begegnete meinem und einige Sekunden schauten wir uns bewegungslos an. Mein Herz begann wie ein hektischer Schmetterling in meinem Brustkorb herumzuschlagen und schnell senkte ich die Augen wieder.
„Hast du Lust auf Nachtisch?“ War diese Frage zu zweideutig? Schließlich trug ich keine Unterwäsche. Denn die hing immer noch nass über dem Badewannenrand in meinem Zimmer.
Doch Nils nickte nur und vertiefte sich in die Dessertkarte.
Nach einem Tartufo für mich und einem Tiramisu für Nils hatte sich die Verlegenheit zwischen uns glücklicherweise wieder einigermaßen gelegt und Nils lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.
„Du weißt jetzt schon so viel über meine Eltern, aber du selbst hat mir noch gar nichts über deine erzählt, außer dass sie Nachbarn mit schlechten Zähnen haben.“
„Im Gegensatz zu deinen gibt es über meine nichts Spektakuläres zu berichten. Beide leben in einem kleinen Dorf bei Freising. Mein Vater ist Steuerberater und meine Mutter fängt im Sommer ihre Ausbildung zur Energietherapeutin an.“
„Was macht man denn als Energietherapeutin?“, fragte Nils neugierig.
„Massage, Tanz, Yoga, alles, was die Energien im Menschen wieder zum Fließen bringt. Ihr Engel hat ihr dazu geraten.“
„Deine Mutter hat einen Engel?“
„Ja. Er heißt Gabriel, du darfst ihn aber nicht mit dem Erzengel Gabriel verwechselt werden. Es ist ein anderer Gabriel.“
„Und dieser Gabriel spricht mit ihr?“
„Anscheinend. Sie behauptet es jedenfalls.“
Nils schmunzelte. „Und du? Glaubst du auch an Engel?“
„Ich finde die Vorstellung schön, einen Schutzengel zu haben, der auf mich aufpasst. Aber wenn es ihn wirklich gäbe, was hat er dann gemacht, als ich mir als Kind das Schienbein gebrochen habe? War er in diesem Moment gerade auf der Toilette gewesen? Nein, im Gegensatz zu meiner Mutter ist dieser Engelglaube für mich einfach nicht greifbar genug, ich bin viel zu rational dafür.“
„Erzähl mir etwas über deine Schwestern!“
„Fee kennst du ja bereits. Sie ist Redakteurin bei trend . Mia ist mal hier und mal dort beschäftigt, scheint sich mit diesen Gelegenheitsjobs aber recht gut über Wasser zu halten. Und Lilly arbeitet in der Firma ihres Verlobten in der Buchhaltung. Lilly und Fee sind vergeben, Mia auch hin und wieder. Alles nicht unheimlich spannend. Wirklich interessant in unserer Familie ist eigentlich nur Opa Wolfgang.“
„Lebt er in einer Kommune?“
„Nein, aber du bist nahe dran. Opa Wolfgang ist mittlerweile schon weit über achtzig und seine jetzige Freundin ist erst fünfzig. Jünger als meine Mutter. Insgesamt war er vier Mal verheiratet. Beim dritten Mal mit einer Thailänderin, mit der er zusammen zwei Söhne hat, die gerade einmal Mitte zwanzig sind. Er ist ein überzeugter FKK-Anhänger und fährt immer noch jedes Jahr nach Kroatien auf einen Nudistencampingplatz. Und im Sommer flitzt er nackt durch die Isarauen im Englischen Garten. Das ist doch etwas, was nicht jede Familie hat, oder?“
„Stimmt, damit können wir Schönebergers nicht aufwarten.“
„Bist du neidisch?“
„Vielleicht ein bisschen. Meine Großeltern sind alle gestorben. Geschwister habe ich keine. Im Vergleich zu deiner ist meine Familie ausgesprochen überschaubar.“ Dann blickte er auf seine Uhr. „Es ist gleich elf. Ich denke, wir sollten jetzt zahlen.“
Trotz der unliebsamen Konfrontation mit meiner Vergangenheit war es ein schöner Abend gewesen. Zu schön. Denn zurück in meinem Zimmer erdrückte mich die Einsamkeit fast. In den letzten 24 Stunden hatte ich ohne Unterbrechung Gesellschaft gehabt. Nur zu oft wäre ich froh gewesen für ein paar Minuten, in denen ich all die Eindrücke, die in den letzten beiden Tagen auf mich eingeprasselt waren, hätte ordnen können. Doch nun wirkte das Alleinsein beklemmend auf mich und der Gedanke, in einem Bett zu schlafen, in dem bequem meine ganze Familie Platz gefunden hätte, machte das Gefühl der Verlassenheit noch schlimmer.
Unruhig wanderte ich im Zimmer hin und her und entschied mich dann, mir eine Tasse Grünen Tee zu machen.
Langsam schlürfte ich das heiße Getränk vor
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