Aussicht auf Sternschnuppen
Seiteneingang des Wäldchens war Gras gemäht worden und ein zarter Sommergeruch begleitete uns durch den grünen Dschungel, in dessen Ästen sich das Licht der Sonne verfing und verschlungene Muster auf den Boden projizierte. Nur die gelegentlichen Motorengeräusche deuteten an, dass wir uns in einer Stadt und nicht im toskanischen Hinterland befanden.
Von nahem sah das Hotel noch viel beeindruckender aus als vom Pier. Es war ein auslandendes viergeschossiges Jugendstilgebäude mit einer weitläufigen Gartenanlage und einem Eingangsbereich, bei dem man sich unweigerlich an einen Film mit Grace Kelly und Gary Grant erinnert fühlte. Breite Treppen führten rechts und links nach oben, riesige Kristallleuchter hingen von der Decke und es dominierten die Farben Rot und Gold.
Nils und ich konnten tatsächlich noch zwei Einzelzimmer ergattern. Sie lagen nebeneinander und ihre Fenster zeigten zum Meer hinaus.
Als ich die elegante, beige gestrichene Zimmertür öffnete, war ich zunächst ein wenig eingeschüchtert. Ebenso wie der Rest des Hotels war auch dieses Zimmer ganz im Jugendstil gehalten. Es hatte gut fünf Meter hohe Wände und war mit schweren braunen Möbeln ausgestattet. Das Blümchenmuster der Stühle fand sich nicht nur in der Tischdecke, sondern auch in dem Überwurf des riesigen Bettes wieder. Ein verschnörkelter Garderobenständer aus Messing und ein reich verzierter Spiegel unterstrichen die nostalgische Atmosphäre.
Da ich mich trotz seiner Größe in dem Zimmer ein wenig beengt fühlte, öffnete ich die raumhohen Fenster und blickte auf das Meer hinaus, das die Sonne in ein weiches Licht getaucht hatte. Ich musste an Lydia denken und ihren Wunsch, noch einmal im Meer zu baden. Versonnen betrachtete ich einige Minuten das wogende Blau. Dann griff ich nach einem Handtuch.
Als ich den Strand betrat, schimmerte das Meer eher eisgrau als blau-grün vor dem rot schattierten Abendhimmel und der Sand hatte sich deutlich abgekühlt. Ich zog mein Kleid über den Kopf und hielt prüfend einen Zeh ins Wasser. Ach du meine Güte, war das kalt!
Auf einmal hörte ich gedämpfte Schritte hinter mir. Nils kam angelaufen und auch er hatte ein Handtuch bei sich. Falls er sich darüber wunderte, warum ich in Unterwäsche vor ihm stand, ließ er sich davon nichts anmerken.
„Ich habe dich von meinem Fenster aus gesehen. Willst du schwimmen gehen?“
Eigentlich hatte ich mich just in diesem Moment dagegen entschieden, aber vor Nils wollte ich mir diese Blöße nicht geben und so nickte ich tapfer.
„Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit“, sagte er. Doch anstatt meine Antwort abzuwarten, öffnete er den Gürtel seiner Hose und ließ sie heruntergleiten, genauso schnell hatte er sein Shirt ausgezogen. Nur mit einer engen Boxershorts bekleidet stand er vor mir.
„Nicht schlecht!“, dachte ich und zog unwillkürlich den Bauch ein. Einige seiner Muskeln hatte ich ja bereits gestern Nacht ertasten können. Aber diese Schauspieltypen wurden schließlich dafür bezahlt, durchtrainiert zu sein. Für Nils war ein Besuch im Fitnessstudio wahrscheinlich genau das Gleiche wie mein Gang ins Büro.
Auch Nils sah mich, so kam es mir jedenfalls vor, prüfend an, was mir den Gang in das eiskalte Wasser deutlich erleichterte. So schnell ich konnte, rannte ich hinein und zog, sobald ich tief genug drinnen war, die Füße nach oben und begann zu schwimmen. Denn die Vorstellung, ein Fisch könnte mich berühren, wurde noch von der Angst getoppt, auf etwas Glitschiges zu treten.
Wenn man erst einmal den schrecklichen Moment überwunden hatte, in dem das Wasser über den Bauchnabel nach oben in Richtung Brust kroch, war es gar nicht mehr so kalt. Nach einigen kräftigen Schwimmstößen wurde es sogar richtig angenehm. Auch wenn ich mir weiterhin jeden Gedanken an das Geschehen unter mir verbot.
Nils, der neben mir aufgetaucht war, schien, wie schon so oft, meine Gedanken lesen zu können.
„Es ist dir nicht geheuer, um diese Uhrzeit noch im Meer zu schwimmen, oder? Aber ich versichere dir, im Mittelmeer sind Haiattacken höchst selten.“
„Du nervst!“ Ich spritze ihn nass.
Schweigend schwammen wir einige Augenblicke der untergehenden Sonne entgegen, die ihre Strahlen als schimmernde Straße auf die Meeresoberfläche warf. Die Züge des nahen Gebirges traten stärker hervor als noch vor einer Stunde. Auch die gelegentlich vorbeiziehenden Schiffe hoben sich nun deutlich vom Abendhimmel ab. Es war friedlich hier
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