Aussicht auf Sternschnuppen
heute nicht auf Alkohol verzichten?“, fragte er.
„Nur ein kleines Gläschen, wir müssen doch darauf anstoßen, dass das Auto wieder da ist.“
Der Kellner brachte uns die Getränke und nahm unsere restliche Bestellung entgegen. Dabei ließ er seinen Blick erneut wohlwollend auf mir ruhen. Ich wählte das Risotto al Curri con Vendure , während sich Nils für die Pizza Diavolo entschied. „Extrascharf“, fügte er hinzu.
Ich verdrehte die Augen und der Kellner grinste.
„Der Kerl scheint ja ganz begeistert von dir zu sein“, bemerkte Nils, nachdem sich der Kellner wieder in Richtung Theke verzogen hatte.
„Überrascht dich das? Ich bin blond.“
„Und? Gefällt er dir auch?“
Ich musterte ihn belustigt. „Nicht besonders. Ich habe es eigentlich nur wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass er statt der Goldvariante einen silbernen Armreif trägt.“
„Sieht er aus wie Giuseppe?“, fragte Nils.
Ich musste lachen. „Nein. Überhaupt nicht. Abgesehen von der Haar- und Augenfarbe.“
„Und wie sieht dein Giuseppe aus?“
„Sehr schlank, sehr groß. Er hat ein schmales, ein wenig ausgemergeltes Gesicht, hohe Wangenknochen, schwarze Haare und dunkle Augen, aber das habe ich ja schon erwähnt, und …“
Nils unterbrach mich. „Ich denke, ich habe jetzt eine ungefähre Vorstellung.“
Doch ich fuhr fort. „Und er ist ruhig, aufmerksam, sensibel, höflich …“
„Hört sich spannend an.“
„Ich hatte genug Spannung in meinen Beziehungen.“
„Wie meinst du das?“
Glücklicherweise stellte der Kellner in diesem Moment unsere Getränke auf den Tisch, gleich darauf folgte unser Essen, so dass ich nicht in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen. Das Risotto schmeckte köstlich und ich kaute langsam, um jeden Bissen genießen zu können.
Kaum hatte ich jedoch das letzte Reiskorn und das letzte Stück Zucchini aufgespießt, als Nils wieder auf unser ursprüngliches Thema zu sprechen kam.
„Wieso hattest du genug Spannung in deinen Beziehungen gehabt?“
„Ach, wegen meines Exfreundes“, winkte ich ab. „Nicht der Rede wert.“
Doch Nils ließ nicht locker. „War er so aufregend?“
Ich zögerte einen Augenblick. „Nein, das nicht, aber die meiste Zeit hat er sich mir gegenüber ziemlich gemein verhalten.“
„Was hat er denn gemacht?“
„Er hat mich nicht geschlagen oder so. Er ging subtiler vor.“ Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, darüber zu reden. „Nachdem ich mehrere Stunden ein aufwendiges Menü gekocht hatte, mäkelte er hat an jedem einzelnen Gang herum. Oder er schwärmte mir ununterbrochen von anderen Frauen vor, meistens von irgendwelchen Models oder Schauspielerinnen. Wenn mir etwas wirklich gut gelang, versuchte er, mir meine Freude madig zu machen. Solche Sachen eben. Eigentlich war alles für sich genommen gar nicht so schlimm, es war eher die Summe der einzelnen Gemeinheiten, die mich auf Dauer deprimiert hat.“
„Das hört sich nach einem ziemlich kaputten Typen an.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich.“
„Aber warum hast du dir das gefallen lassen?“
„Olli, so hieß mein Freund, hatte eine ziemlich verkorkste Kindheit. Seine Eltern haben ihn erst mit Mitte 40 bekommen. Es hat wohl vorher einfach nicht geklappt und so ist er Einzelkind geblieben. Als Olli zehn war, hat seine Mutter einen Schlaganfall oder so etwas Ähnliches bekommen. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl. Sie kann sich kaum noch bewegen, nicht mehr sprechen. Sie stößt nur noch unartikulierte Laute aus. Manchmal bin ich nachts aufgewacht, weil sie so laut gestöhnt hat. Ansonsten habe ich nicht viel von ihr mitbekommen, weil Ollis Vater eine Pflegerin eingestellt hat und seine Mutter fast nur in ihrem Zimmer war. Aber die Atmosphäre in dem Haus war trotzdem schrecklich. Ich dachte, jemand, der dieses Elend den ganzen Tag mitansehen muss, hätte alles Recht der Welt, hin und wieder ein wenig fies zu sein.“
„Du entschuldigst ihn?“
„Wer weiß, wie ich geworden wäre, wenn …“
„Aber es gibt eine Menge Leute, die keine schöne Kindheit hatten und trotzdem nicht ihre Mitmenschen quälen.“
„Ich weiß. Ich glaube, ich bin auch nicht wirklich aus Verständnis oder Mitleid mit bei ihm geblieben.“
„Aber warum dann?“
Ich starrte auf das Muster der rot-weiß-grünen Serviette vor mir und zählte, wie viele Karos sich in einer Reihe befanden. Es waren zehn. „Ich dachte, es wäre schön, wenn gerade ich es schaffen würde, ihn zu einem
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