Aussicht auf Sternschnuppen
solchen Nacht nicht morgens in aller Frühe verschämt aus den Federn springen und dann hoffen, dem anderen nie wieder zu begegnen? Nils fuhr mit der Hand zart über meinen Oberarm und ich rückte noch ein wenig enger an ihn heran und vergrub meine Nase noch ein wenig tiefer in seiner Halsbeuge.
Ich hätte noch stundenlang so daliegen können, hätte nicht auf einmal der Alarm meines Handys angefangen zu piepen. Gestern Abend wusste ich schließlich noch nicht, dass es gute Gründe dafür geben könnte, das Frühstück zu verpassen. Ich rappelte mich auf und griff über Nils hinweg zu meinem Nachtschränkchen. Zeit für eine Reaktion!
„Hast du auch Hunger?“, fragte ich.
Statt einer Antwort zog Nils mich wieder zu sich heran.
Bei Tag war es sogar noch besser als bei Nacht. Der Sex mit ihm war ganz anders als mit Giuseppe, fast so, als würde man die Fahrt in einem Tretboot mit dem Dahinflitzen auf einem Jet-Ski vergleichen. Die Fahrt auf dem Tretboot war nett, aber auch ein bisschen mühsam. Und das sanfte Dahinschaukeln auf den Wellen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich ganz schön anstrengen musste, um Fahrt aufzunehmen. Während der Jet-Ski wild und gefährlich war und völlig von selbst lief. Und während ich verschwitzt und noch etwas außer Atem da lag und über meinen Vergleich philosophierte, erwachte in mir eine schreckliche Gewissheit: Ich wollte keine Tretbootfahrt mehr, jetzt, wo ich den Jet-Ski kennen gelernt hatte. Für mich war die Sache mit Nils kein One-Night-Stand, denn ich wollte mich nicht von ihm verabschieden. Irgendwo auf dieser verflixten Reise musste ich angefangen haben, mich in ihn zu verlieben.
„Hast du schon viele Männer gehabt?“, unterbrach Nils meine Gedanken.
„Warum?“, versuchte ich Zeit zu schinden.
„Weil es mich interessiert.“
„Nein, nicht so viele.“
„Wie viele?“, bohrte Nils nach.
„Fünf.“
„Bin ich darin schon enthalten?“
„Ja“, gab ich widerstrebend zu. „Bei dir ist diese Zahl wohl etwas größer, oder? Wie viel Frauen hattest du denn vor mir?“
Nils überlegte. „Das kann ich dir aus dem Stegreif gar nicht sagen.“
„Waren es mehr als 50?“, fragte ich vorsichtig.
Er lachte. „Schön wär’s. Nein. Warst du mit all den Männern vor mir auch zusammen?“
„Ja.“ Das Gespräch wurde mir immer peinlicher, da ich mich in Sachen sexueller Erfahrung Nils deutlich unterlegen fühlte. „Mit meinem ersten Freund Thomas drei Jahre, mit meinem zweiten Freund, mit Arthur, zehn Jahre, mit Olli, von dem ich dir erzählt habe, waren es vier Jahre und mit Giuseppe zwei Jahre.“
„Du hast ganz schön viel Zeit deines Lebens in Beziehungen verbracht. Warst du überhaupt jemals allein?“
„Ja, bis ich 17 war. Und kennst du mittlerweile die genaue Zahl deiner Eroberungen?“
„Mit dir zusammen sind es achtzehn.“
18! Für einen Schauspieler führte er mit dieser Zahl bestimmt schon ein fast asketisches Leben. Mehr Details wollte ich überhaupt nicht wissen. Dafür aber etwas anderes.
„Ich muss dich noch etwas fragen.“ Ich malte mit dem Zeigefinger kleine Kreise auf Nils’ Brust.
„Was?“
„In Verona, in dem Hotelzimmer. Du hast auf einmal so abrupt aufgehört, mich zu küssen. Warum?“
„Wenn ich dich weiter geküsst hätte, hätte ich auch mehr gewollt. Und das Risiko wollte ich nicht eingehen.“
„Warum nicht?“
„Du warst total betrunken. Und so zickig wie du dich mir gegenüber die ganze Zeit verhalten hast, musste ich doch befürchten, dass du mich tötest, wenn du wieder bei Sinnen bist.“
„Und das war der einzige Grund?“
Nils nickte.
„War ich so schlimm?“
„Anfangs schon.“
Sein Magen begann zu knurren und wir mussten beide lachen.
„Stehen wir auf!“, sagte Nils und warf einen Blick auf seine Uhr. „Wenn wir uns mit dem Duschen beeilen, bekommen wir noch Frühstück.“
Er schwang seine Beine aus dem Bett. Ich beschloss, noch einige Momente unter der Decke zu bleiben und zu warten, bis Nils im Bad verschwunden war. Nicht, dass er mich vorhin nicht schon nackt gesehen hätte, aber irgendwie hatte ich Hemmungen, mich ihm ohne einen stark angestiegenen Adrenalinspiegel hüllenlos zu präsentieren.
Doch Nils blieb stehen. „Worauf wartest du? Lass uns duschen gehen.“
Nils brauchte deutlich länger als ich, um sich fertig zu machen. Ich wollte ihn schon damit aufziehen, doch als er endlich aus dem Bad herauskam, wusste ich, was er so lange darin gemacht hatte.
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