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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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die Rooke die Messwerte eintrug. Sie würden ein Wunderwerk der Übersetzung darstellen. Die Sprache des Durcheinanders, der Schwankungen, der Improvisation würde in Exaktheit übertragen werden. Schade, dachte Rooke, dass Dr. Vickery seine Freude an dieser Umwandlung nicht mit ihm teilen konnte. Windstärke, Wetter, Luftdruck, Temperatur, Bemerkungen . Vielleicht ein bisschen zu voreilig setzte Rooke sechs Beobachtungszeiten pro Tag fest, zwischen vier Uhr morgens und acht Uhr abends. Es war wie der Beginn einer großen Unternehmung, die Feder in die Tinte zu tauchen und die ersten Messwerte einzutragen. 24. Juni 1788. Wind SSW, 4 Knoten, Wetter: stark bewölkt & dunstig. Luftdruck: 29. Temperatur: 60. Bemerkungen: Gegen 7 Uhr begann es zu regnen, und wenig später stieg das Barometer .
    Im Observatorium, vier schiefe Stufen oberhalb seines Wohnbereichs, war es selbst für einen schlanken Astronomen sehr eng, und das Segeltuch des Daches knatterte besorgniserregend im Wind. Doch der Felsblock, auf dem der Quadrant stand, war seit der Entstehung der Welt noch nie vom Fleck bewegt worden. Unter seinen Füßen, ohne Dielenbretter oder einen Teppich dazwischen, konnte Rooke es spüren: Die Felsschicht, wie sie durch Zeit und Raum trudelte und ihn selbst und seine Instrumente mit sich riss.
    Durch das Teleskop gesehen leuchteten die Sterne mit ungewohnter Klarheit, blinkten explosiv wie in der Dunkelheit pulsierende Lebewesen. Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht . Paulus muss ein Mann gewesen sein, der flach auf dem Rücken auf dem Boden lag und zu genau einem solchen Himmel hochgeblickt hat wie diesem hier, dachte Rooke.
    Er kannte die Sternbilder der südlichen Hemisphäre inzwischen genauso gut wie jene, mit denen er aufgewachsen war. Auf dem ganzen Weg von Portsmouth die Wölbung des Globus hinunter bis nach New South Wales hatte er sie Nacht für Nacht beobachtet, wie sie immer weiter den südlichen Horizont hinaufgekrochen waren. Doch über dem Meer hatten sie nie so hell geleuchtet wie hier.
    Gestochen scharf stand der Mond am schwarzen Himmel, seine Meere und Berge so deutlich wie in Kupfer graviert – aus der Perspektive einer Person, die aus dem Fenster eines Wohnzimmers im nebligen Portsmouth blickte, natürlich verkehrt herum.
    Rooke hätte dieses Wohnzimmer bis ins kleinste Detail zeichnen können, jede einzelne Falte in der Tischdecke, jeden Fleck auf dem Lehnsessel, die Stelle, wo die Teppichkante ausgefranst war. Er hätte einem sagen können, dass in diesem Augenblick – dort war es jetzt Mittag und natürlich Sommer – sein Vater seine Serviette aus dem Serviettenring zog, seine Mutter das Brot schnitt und es Anne reichte, damit diese es mit Butter bestrich, und Bessie es dann auf die Teller legte, während sie alle versuchten, das Knurren in den Eingeweiden zu unterdrücken, und ungeduldig darauf warteten, dass das Dienstmädchen das Mittagessen hereintrug.
    Er brauchte sich das Hungergefühl gar nicht vorzustellen, denn es war real. Der Gouverneur hatte sie nämlich alle auf halbe Ration gesetzt, bis die angekündigten Versorgungsschiffe aus England eintrafen. Zugleich war es aber auch überhaupt nicht real, sondern eine Geschichte, die ihm jemand vor langer Zeit im Traum über ein paar ganz bestimmte Menschen erzählt hatte.
    Durch das Fensterloch drang das endlose Rauschen des Wassers unten im Hafen zu ihm herein. Das Wasser war niemals still, war unablässig im Gespräch mit sich selbst und mit der Küste. Von seinem Feldbett aus hörte Rooke, wie es gegen die Felsen am Fuß der Landspitze klatschte, und wusste genau, was für ein Anblick das war, wenn es schäumend in Risse und Spalten eindrang. Nichts hinderte einen Tropfen dieses Wassers daran, dieselbe Reise, die er unternommen hatte, in entgegengesetzter Richtung zu machen. Solch ein Tropfen könnte sich mit den Meeresströmungen treiben lassen, bis er die Motherbank erreichte und am Round Tower vorüberglitt. Schließlich könnte er auf den Kai spritzen, genau an der Stelle, an der vor einem Jahr das Beiboot der Sirius mit Daniel Rooke an Bord abgelegt hatte. Der Tropfen würde auf einem der Steine eine dunkle Hieroglyphe hinterlassen, einen Gruß von der anderen Seite des Globus an die Welt, die Rooke zurückgelassen hatte.


    A uch nachdem Rooke sein Quartier beim Observatorium bezogen hatte, nahm er mit den anderen Offizieren weiterhin das

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