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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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nur zum Vorteil gereichen.«
    Er zwinkerte Rooke zu.
    »Die langfristige Perspektive, mein Freund, wir dürfen nie die langfristige Perspektive unserer Zeit hier in New South Wales aus dem Blick verlieren.«


    D ie langfristige Perspektive im Blick zu behalten war in einer Gegend, wo man von New South Wales jeweils nur einen Meter nach dem anderen sah, gar nicht so leicht. Rooke saß mit den anderen Expeditionsmitgliedern im Boot, das die Matrosen in westlicher Richtung durch den Hafen steuerten, und vernahm die Geräusche der Riemen, wenn sie ins Wasser eintauchten und mit einem saugenden Geräusch wieder herausgehoben wurden. Der Gouverneur, der die Ruderbank im Bug ganz für sich allein hatte, blickte angestrengt durch sein Fernrohr. Silk saß dienstbereit hinter ihm und beugte sich ab und zu vor, um auf eine Bemerkung des Gouverneurs, die Rooke von seinem Platz aus nicht verstand, etwas zu erwidern. Eine beflissene Miene auf dem hageren Gesicht, beugte sich auch der neben Silk sitzende Leutnant Willstead immer wieder vor in der Hoffnung, sich einbringen zu können. Willstead war ebenfalls an Bord der Sirius gewesen. Während ihrer Fahrt über den Atlantik und über das gesamte Große Südmeer hatte Rooke beobachtet, wie Willstead sich verzweifelt bemühte, Eindruck auf den Gouverneur zu machen. Seinem hageren Gesicht war der Ehrgeiz zu deutlich anzusehen, sein schmeichlerisches Lächeln war zu mechanisch. Silk mochte genauso ehrgeizig sein wie Willstead, doch man merkte ihm das nicht an, und wenn der Gouverneur sich auf seiner Ruderbank umdrehte, um eine Bemerkung über etwas von Interesse zu machen, wandte er sich ausnahmslos an Silk.
    Hinter Rooke saßen zwei Soldaten mit einem bulligen, bärtigen Sträfling in ihrer Mitte: dem Jäger des Gouverneurs, der, wie Rooke von Silk wusste, mitgenommen worden war, um ihnen das Abendessen zu schießen. Mit den breiten Schultern und dem sich übergangslos daran anschließenden feisten Nacken sah er selbst wie eine Rindslende aus, dachte Rooke. Er begegnete dem Blick des Mannes: scharf, wissend, misstrauisch.
    Leutnant Gardiner von der Sirius hatte das Kommando über das Boot. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, stand er breitbeinig im Heck, während sich die Matrosen in die Riemen legten und das Boot immer weiter in das Hafenbecken hineinsteuerten. Am nördlichen Ufer ragten bewaldete Felsvorsprünge wie hohe dunkle Schiffbugs aus dem Wasser empor, in das die düsteren Bäume ihre Spiegelbilder warfen. Auf der Südseite war das Land niedriger, jede Bucht und jede Landzunge leuchtete vom glänzenden Laub der Mangroven. Hin und wieder kam ein sichelförmiger gelber Sandstrand in Sicht. Auf dem Wasser schaukelnde Möwen drehten die Köpfe zu dem vorüberziehenden Boot, die Pelikane sahen aus, als lächelten sie in sich hinein. Die Strömung trieb das Boot um eine Biegung nach der anderen, die beiden Uferseiten kamen immer näher aufeinander zu, bis aus dem Hafenbecken ein schmaler Fluss geworden war.
    Beim Umrunden einer niedrigen Landzunge sahen sie auf einem Grashang an einem Lagerfeuer vier oder fünf Eingeborene sitzen, die reglos zu ihnen herüberblickten. Sie wirkten wie ein Tableau, das über eine Bühne gezogen wird. Aus der Perspektive der Eingeborenen musste die Bootsladung starrender Fremder natürlich wiederum wie ein durch ihr Blickfeld gleitendes Tableau wirken.
    »Lassen Sie einwärts drehen, Leutnant«, rief der Gouverneur Gardiner über das Boot hinweg zu. »Lassen Sie rückwärts rudern und auf diese Leute zusteuern.«
    Während das Boot immer näher auf die Eingeborenen zukam, erhob sich der Gouverneur von seiner Bank, nahm seinen Hut ab und winkte ihnen damit zu.
    »Guten Morgen!«, rief er. »Guten Morgen, Freunde!«
    Die Eingeborenen winkten nicht zurück. Während Rooke die Szene beobachtete, begann sich das Tableau zu bewegen: Eine am Lagerfeuer sitzende Frau stand auf, raffte ihr Kind an sich und verschwand im Gebüsch. Nacheinander erhoben sich auch die anderen und folgten ihr. Obwohl sie sich nicht zu beeilen schienen, war die Lichtung, als das Boot dicht genug ans Land herangekommen war, menschenleer.
    »Soll ich ans Ufer springen, Sir?«, erbot sich Willstead. »Ich könnte hinüberspringen und sie verfolgen!«
    Etwas in Willsteads Stimme schien dem Gouverneur nicht zu behagen.
    »Lassen Sie weiterrudern, Leutnant Gardiner«, rief er in scharfem Ton. »Lassen Sie uns hier keine Zeit vergeuden.«
    Der Fluss wurde immer schmaler, bis er

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