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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Vickery für dieses Jahr vorhergesagt hat. Ein Ereignis, dem er größte Wichtigkeit beimisst.«
    Der Gouverneur schien über diese flüssige Rede genauso erstaunt wie Rooke selbst und blickte ihn mit finsterer Miene an.
    »Ich möchte dem königlichen Astronomen keinesfalls widersprechen. Das können Sie mir glauben. Aber warum so weit entfernt, Leutnant? Mein Wunsch ist es, dass die Siedlung im Interesse der Sicherheit all ihrer Einwohner zusammenbleibt. Bevor wir keine Beziehungen zu den Eingeborenen hergestellt haben, können wir ihre Absichten nicht einschätzen.«
    Der Gouverneur wandte sich erneut ab, doch Rooke war nicht gewillt, klein beizugeben. Er musste diese einsame Landspitze haben. Die Verzweiflung verlieh seinem Geist Flügel, seinem Mund Worte.
    »Bei allem Respekt, Sir.« Das war eine nützliche Wendung, die er Silk schon ein paarmal dem Gouverneur gegenüber hatte anwenden hören. »Ein Observatorium muss unbedingt an einem Ort stehen, an dem völlige Dunkelheit herrscht. Um effektiv arbeiten zu können. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist.«
    Das waren zwei Lügen auf einmal. Die erste war wie Ihnen sicherlich bekannt ist, denn der Gouverneur, ein hinlänglich kompetenter Marinemann, wusste vielleicht genug über den Nachthimmel, um ein Schiff von einem Ort zum anderen zu bringen, aber nicht das Geringste über das, was ein Astronom brauchte. Und das mit der völligen Dunkelheit, nun ja, das war bestenfalls eine Halbwahrheit. Die Lagerfeuer und die flackernden Lampen in der Siedlung würden die Sicht auf die Sterne wohl kaum beeinträchtigen.
    Rooke musterte das schmale Gesicht des Gouverneurs: mürrisch, aber zugleich nachdenklich. Bestimmt würde er gleich von seiner Autorität Gebrauch machen und schlicht und einfach ein Verbot aussprechen.
    »Darüber hinaus, Sir«, fuhr Rooke hastig fort und hoffte, dass ihm, während er redete, ein weiteres Argument einfallen würde. »Darüber hinaus, Sir, werden die Berechnungen nicht einfach sein. Insbesondere was den Kometen betrifft. Für jemanden mit meinen Fähigkeiten. Beschränkten Fähigkeiten.«
    Rooke merkte selbst, wie gequält seine Worte klangen. Manchmal kam es ihm vor, als verführe er beim Bilden von Sätzen so wie andere Leuten beim Multiplizieren: auf die umständliche Weise, nämlich durch Addieren. Er spürte, dass er errötete, haspelte aber weiter. »Unruhe, Sir. Eine unruhige Umgebung wird meine Leistungen beeinträchtigen. In höchstem Maße. Ruhe und Einsamkeit sind für mich unabdingbare Voraussetzungen.«
    Das war keine Halbwahrheit, sondern schlichtweg eine Lüge. Rooke wusste das, und der Gouverneur wusste es auch. In der Kapitänskajüte der Sirius hatten niemals Einsamkeit oder Ruhe geherrscht. Am einen Ende des Kartentisches hatte Rooke mit Hilfe von Dr. Vickerys Nautischem Jahrbuch und den Nautischen Tabellen den Längengrad errechnet, an dem sich das Schiff gerade befand. Am anderen Ende des Tisches hatten die Seeoffiziersanwärter ihre Navigationsübungen gemacht. Der Kommodore hatte währenddessen mit seinen Karten und Papieren an seinem persönlichen Schreibtisch am Fenster gesessen. Und in einer anderen Ecke der Kajüte hatte vielleicht gerade eine lebhafte Diskussion zwischen einigen Offizieren stattgefunden, beispielsweise über die geschmacklichen Eigenschaften der unterschiedlichen Fischarten, die von den Matrosen vom Schiff aus geangelt wurden. Wenn sie dann auch Rooke nach seiner Meinung fragten, hatte er ihnen antworten können, ohne sich bei seinen Berechnungen auch nur im Geringsten aus dem Takt bringen zu lassen.
    Der Gouverneur, der allein schon durch seine Position isoliert war und dazu noch, vermutete Rooke, durch sein Naturell, verstand vielleicht sogar, dass jemand am liebsten allein war. Diesem Wunsch nachzugeben, könnte jedoch als Bevorzugung angesehen werden, und wenn er einem seiner Männer Sonderrechte gewährte, würde er mit anderen womöglich Ärger bekommen.
    Der Gouverneur legte den Daumen unters Kinn und strich sich mit dem Zeigefinger über den Mund. Rooke spürte, wie der Gouverneur eine rasche, aber komplexe Berechnung anstellte, bei der er die Notwendigkeit, diesem sturen, rangniederen Leutnant gegenüber seine Autorität zu demonstrieren, gegen den zukünftigen Nutzen eines kooperativen Leutnants abwog. Rooke spürte einen Anflug von Panik in sich aufsteigen. Gilbert war nichts weiter als ein Kapitän der Navy von nicht weiter bemerkenswerten Talenten, älter als Rooke, aber weniger begabt.

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