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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Sonntagsessen ein. Er betrachtete es als eine Art Zehnt, eine Abgabe aus Dankbarkeit dafür, dass er an den übrigen Wochentagen nicht dort essen musste.
    Als er im ersten Winter seit Gründung der Siedlung eines Abends in der Kaserne war – ein langer düsterer Schuppen mit einer langen Mahagonitafel, die fast den gesamten Raum einnahm und für diese Umgebung eigentlich viel zu edel war –, sah er am Kopfende neben Major Wyatt den Gouverneur sitzen. Seine Exzellenz erwies ihren Offizieren hin und wieder diese Ehre, statt allein in der Residenz zu speisen. Major Wyatt bedankte sich stets mit überschwänglichen Worten dafür. Für alle anderen bedeutete die Anwesenheit des Gouverneurs, sich bei ihren Gesprächen im Zaum zu halten.
    Rooke setzte sich zwischen Silk und den jungen Leutnant Timpson, da er hoffte, so den Blicken von Major Wyatt und dem Gouverneur zu entgehen. Timpson ging einem mit seinem Gemecker über die weiblichen Sträflinge – seiner Ansicht nach allesamt »liederliche Weiber« – gehörig auf die Nerven. Außerdem zog er ständig ein Medaillon mit dem Bild seiner Liebsten hervor und erwartete, dass jeder es bewunderte und bestaunte. Er war zu jung und zu naiv, um zu wissen, dass die Geliebte eines Mannes in einem ovalen Rahmen für andere nicht sonderlich interessant war.
    Silk fand, dass der junge Leutnant Timpson den Mund besser nicht so weit aufreißen sollte. Verlass dich drauf , hatte er zu Rooke gesagt. Noch vor Jahresende werden wir ihm bei Mrs. Butcher begegnen und nichts mehr von dieser Betsy hören . Rooke widersprach ihm nicht. Mrs. Butcher hatte offenbar schon in der Marktstadt Devizes ein Etablissement geleitet und wusste ein Haus gut zu führen. Rooke hatte ihre Hütte manchmal gemeinsam mit Silk, manchmal allein aufgesucht und sie sowohl für gastfreundlich als auch für diskret befunden, weil sie einem nicht nur die Auswahl zwischen mehreren hübschen jungen Sträflingsmädchen bot, sondern auch ein Stück Privatsphäre hinter einem Vorhang aus Segeltuch.
    Timpsons naive Prüderie mochte zwar lästig sein, doch Rooke war gerne bereit, Betsy zum hundertsten Mal zu bewundern und zuzustimmen, dass sie ein süßes Gesichtchen hatte, wenn er dafür im hintersten und finstersten Winkel des Raumes sitzen konnte.
    Der Gouverneur und Wyatt am Kopfende der Tafel blickten angewidert drein, als der Boy zwei gefüllte Teller vor sie hinstellte. Silk durchbrach das allgemeine Schweigen.
    »Aha, der tägliche Teufelsbrocken!«, rief er aus.
    Rooke fand es sehr gewagt, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was auf den Tellern lag, doch zu seiner Überraschung hörte er den Gouverneur lachen. Wyatt stimmte in das Lachen ein, und schließlich lachte der ganze Tisch. Nur Silk konnte sich solche Dreistigkeiten erlauben, aber er kam damit gut an: Wem Tag für Tag eine kärgliche Portion gepökelten Rindfleischs älteren Datums und ein Löffel Erbsenbrei vorgesetzt wurde, dem war Ablenkung willkommen.
    Die Ansicht Seiner Majestät Proviantlieferant, dass die Kolonisten in New South Wales zumindest einen Teil der benötigten Nahrungsmittel selbst produzieren könnten, hatte sich als zu optimistisch erwiesen. Das Herz des Baumes, der große Ähnlichkeit mit einem Wischmopp hatte, nannten sie zwar Kohl, doch Rooke fand, dass es nicht nur so faserig war wie Tauwerk, sondern auch so schmeckte. Am Bachufer wuchsen allerlei Grünpflanzen, und aus den Blättern eines wildwuchernden Rankengewächses ließ sich, wie man herausgefunden hatte, ein süßlicher Tee bereiten, den Rooke inzwischen ganz schmackhaft fand. Aber das war auch schon alles, was diese Gegend an Wildgemüse hergab.
    Man hatte zwar auch Gärten angelegt und bepflanzt, doch in der Erde, die nicht besser war als Sand, dazu noch mit vielen Baumstümpfen durchsetzt und ständig von Sträflingen geplündert, wurde keine Kartoffel oder Rübe größer als eine Murmel.
    Hin und wieder kam der Jäger des Gouverneurs mit ein paar Wildtieren zurück, die er im Wald erlegt hatte. Seine Exzellenz teilte das Fleisch großzügig mit den Offizieren, und wie die anderen auch hatte Rooke schon diverse undefinierbare Bratenstücke zähen, aber schmackhaften Fleisches genossen. Kein Teil dieser Tiere blieb ungenutzt, denn Schiffsarzt Weymark bezahlte den Jäger dafür, dass er ihm die Köpfe überließ. Rooke hatte schon einige von Weymarks Aquarellen gesehen, auf denen er die Stelle, an welcher der Kopf des Kängurus oder Opossums mit dem Beil abgehackt worden

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