Australien 03 - Tal der Sehnsucht
beiseite, die jetzt in nassen Kringeln auf seiner Stirn lagen. Sie küsste ihn mit all ihrer Liebe. Jack legte seine Hand auf ihren Bauch und ließ sie auf jenem Fleck ruhen, wo in ihrem Leib sein Kind schlummerte.
Jack schämte sich seiner Krankheit zu sehr, als dass er sich von seinen Verwandten auf Wallandool verabschiedet hätte. Stattdessen ließ er Mary in ihrem Elternhaus zurück und reiste allein weiter zum Hotel der Cobb Et Co Postkutschenstation in West Wyalong. Mary hatte sich einen Nachmittag erbeten, um sich von ihrer Mutter und ihrem Vater zu verabschieden, ehe sie gemeinsam nach Süden zu Jacks Familie in Koroit reisten. Aber Jack erschien jedes Adieu überflüssig – vor allem bei Launcelot Ryan. Ryans bittere Worte bei ihrer letzten Begegnung schnitten Jack noch tiefer ins Herz, seit er wusste, wie Recht er damit gehabt hatte. Mary würde hierher zurückkehren, um bei ihrer Familie zu leben… und ganz gewiss ohne ihn.
Jack saß zusammengesunken auf einer Bank vor dem Hotel in einem Fleck der milden Abendsonne und wartete darauf, dass Mary und die Cobb Et Co Postkutsche eintrafen. Einige der Einheimischen, die auf der Straße unterwegs waren, hatten sichtbar Angst, mit ihm zu sprechen. Dieser große, schneidige Irenbursche, dieser legendäre Viehtreiber war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine Haut war gelb, sein Gesicht abgezehrt, die Muskeln an seinen Armen schrumpften dahin, und sein Rückgrat schien sich immer mehr zu krümmen, so als könnte es der Erdanziehungskraft nichts mehr entgegensetzen. Das Eigentümlichste jedoch war, dass kein Kelpie an seinem Bein lehnte oder mit gekreuzten Vorderpfoten zu seinen Füßen lagerte. Jack Gleeson war ohne Pferd und ohne Hund. Ein lebender Toter.
An einem trostlosen Morgen im August 1880 sausten kalte Winde über die Weiden auf Crossley im südlichen Victoria. Als würde es der im Hüttendach kreischende Wind quälen, schreckte das Kleinkind aus dem Schlaf und begann, in seinem Weidenkörbchen am Feuer zu weinen. Die Stirn von Sorgen zerfurcht, bückte sich Mary, um es aufzuheben. Sie hob den warmen kleinen Jungen an ihre Brust und atmete den süßen Duft seiner weichen Haut ein. Dann küsste sie ihn auf das kleine Köpfchen.
»Mach dir keine Sorgen, kleiner Mann. Der Frühling ist nicht mehr weit. Lange bleibt es nicht mehr so kalt. Den tiefsten Winter haben wir schon überstanden. Dieser Wind und der Winter sollen uns nur zeigen, dass Mutter Natur stärker ist als wir.«
Sie bückte sich, um das Feuer anzufachen, und sank dann in den Schaukelstuhl zurück. Das Baby fest an ihren Busen gedrückt, schaukelte sie vor und zurück, vor und zurück, während der Wind das Dach von der Hütte zu zerren versuchte.
Sie wartete darauf, dass Jacks Tante Margaret und seine Cousins eintrafen. Schließlich hatte sie ihnen eine Nachricht zukommen lassen, und nun waren sie gewiss schon unterwegs auf dem vier Meilen langen Weg zwischen ihrem Haus in Koroit und dieser Hütte in Crossley. Die Lippen an den Kopf ihres Sohnes gepresst, summte sie ihm eine Melodie vor. Tränen rannen ihr aus den Augen und landeten auf den samtigen Kleinkinderwangen.
»O lieber Gott«, weinte sie im Einklang mit dem Wind.
Im Schlafzimmer hinter ihr lag der Leichnam ihres Ehemannes, mit dem sie zwei kurze Jahre verheiratet gewesen war. Sie hatte schwere Pennys auf seine Augenlider gelegt und ihn von Kopf bis Fuß mit warmer Seifenlauge abgewaschen. Sie hatte ihn geküsst und ihm in die tauben Ohren geflüstert, wie sehr sie ihn liebte. Sie hatte seine Hände hochgehoben und jeden einzelnen Finger geküsst. So oft hatte sie diese Hände gesehen, wenn sie sich liebevoll in die weiche Haut eines Arbeitshundes gedrückt hatten. Ihn kraftvoll, gebieterisch und liebend getätschelt hatten. Auch sie hatte sich der Macht von Jack Gleesons Berührung nicht entziehen können. Jetzt lagen diese Hände still, kalt und eingekrallt da. Mary drückte sie an ihre Wangen, aber die Berührung hatte die Magie verloren.
Jack Gleesons Seele war von dem kalten Wind über Crossley weggeweht worden. Der Wind blies in Richtung Norden und trug Jacks Seele in das weite offene Land zurück, wo all seine Hunde lebten. Dorthin, wo er hingehörte. Seine Seele, die für alle Zeiten in den braunen Augen tausender spitzohriger Hunde eingebettet lag. Mary küsste ihren Gemahl ein letztes Mal und wartete darauf, dass seine Familie kam, um seinen Leichnam zu holen.
An eben jenem Tag im August marschierte Charles
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