Australien 03 - Tal der Sehnsucht
im Obstgarten war alles voller Leben – von den in den Bäumen lärmenden Vögeln bis zu der Spinne, die auf dem Rücken eines sattgrünen Blattes ihr Netz spann. Rosie fühlte sich so jung und lebendig. Und doch lag neben ihr ein unübersehbares Mahnmal des Todes. Bones’ glasige Augen starrten zu den Wolken auf, die lautlos über den blauen Himmel zogen. Seine rosa Zunge war jetzt blass und trocken. Seine schwarzen Lippen wirkten wie aus Plastik, und seine Nase glänzte nicht mehr unter seinem feuchten Atem. Sie streichelte seinen struppigen Rücken, ehe sie ihn mitsamt seiner Matte ins Grab senkte. Anschließend begann sie, Erde auf ihn zu schaufeln, und schaute zu, wie ihn allmählich das dunkle Erdreich bedeckte. So würde er monatelang in seinem Todesschlaf hier liegen und langsam verwesen, bis sein Leichnam durch die Bäuche der Würmer und winzigen Wesen, die sich von ihm ernährten, wieder mit dem Leben verbunden war. Und zuletzt bliebe von Bones, wie sein Name es sagte, nichts als… Knochen.
Rosie schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass sie ein Gebet sagen sollte, aber wozu waren Gebete gut? Sie kniete auf dem Gras nieder und klopfte die Erde zu einem gleichmäßigen Hügel. Hier befand sich ein Grab unter der Erde. Ein Grab, das, so fühlte es sich an, ihre Vergangenheit enthielt. Sie atmete tief aus und glaubte, weinen zu müssen… aber es kamen keine Tränen. Ihre Tränen lagen unter ihr in der Erde. Sie hatte sie zusammen mit Bones beerdigt. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie erst jetzt Sam und die Erinnerung an ihn zu Grabe getragen. Genau wie ihre Hoffnungen auf eine Zukunft mit Jim. Er war weg, genau wie seine Hunde. Und zusammen mit Jim begrub sie die Tragödie von Jack Gleesons unglücklicher Witwe und seinem vaterlosen Kind. Zu guter Letzt begrub sie damit auch Rosemary Highgrove-Jones und die Vergangenheit, die sie so lange eingezwängt hatte. So ein kleines Grab, dachte sie, und so viel liegt darin.
Rosie stand auf und begann, die feuchte Erde festzutreten. Fast als wollte sie den Boden festtrampeln, damit sich nichts von all dem wieder in ihr Leben schleichen konnte. Sie begann, auf und ab zu springen, hoch in die Luft zu hüpfen und mit einem dumpfen Schlag auf der frisch gewendeten Erde zu landen. Zu stampfen. Zu treten. Das Alte zu begraben. Den Tod zu zertrampeln. Sie biss die Zähne zusammen und lachte hysterisch. Was war die Alternative zum Leben? Es war der Tod, Rosie wusste das nur zu gut. Und so hüpfte sie wie eine Besessene in ihrem Obstgarten herum. Sie lebte, sie hüpfte, sie atmete, sie lebte ganz in diesem Augenblick. Weil sie das kostbare Leben, das sie hatte, bewahren wollte.
Kapitel 35
R osie stieß sich vom Felsen ab, zog die Hände durchs Wasser und ließ sich treiben. Sie blickte in den blauen Sommerhimmel auf und atmete tief aus, während die Strömung sie flussabwärts trug. Sie hörte ein Platschen. Dann noch eines. Rosie drehte sich in die Bauchlage, um nachzuschauen, woher der Lärm kam.
Am Ufer standen Julian mit einer Nikolausmütze und Evan mit einem Rentiergeweih und ließen Steine über das Wasser hüpfen. Um sie herum tanzten die Hunde, acht an der Zahl: Dixie, Gibbo und Diesel und dazu die für die Auktion bestimmten Welpen Chester, Clyde, Coil und Sally. Duncans kleiner Terrier Derek war ebenfalls dabei, auch wenn er leicht indigniert wirkte, dass er sich mit arbeitenden Hunden abgeben musste. Ein Jack Russell, dachte Rosie, ist ein großer Hund, der im Körper eines kleinen Hundes gefangen ist. Sie pfiff kurz, und alle Hunde stellten die Ohren auf.
»Kommt, Kelpies!«, rief sie. Ein paar von ihnen stürzten sich ins Wasser, die anderen schlichen misstrauisch über die Steine und ließen sich vorsichtig ins Nass gleiten. Bald schwammen alle um sie herum, während Derek entrüstet vom Ufer aus kläffte.
»Essen!«, rief Margaret von ihrem Liegestuhl aus, der unter einem riesigen Eukalyptus stand. Derek verstummte abrupt und trottete zu ihr hinüber, um sich bettelnd unter den Tisch zu verkriechen, wo die Getränke und die Picknickkörbe standen.
Rosie spürte, wie die Tageshitze sich über sie legte, während sie aus dem Fluss watete und über die heißen Flusskiesel zu ihren Stiefeln und ihrem Sarong hüpfte. Die Hunde folgten ihr spritzend.
»Lauft, und macht Platz!«, befahl sie, und die Hunde rannten das Ufer entlang, um unter den schattigen Bäumen zu lagern.
Evan und Julian ließen sich, noch klatschnass, in ihre Liegestühle fallen
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