Australien 03 - Tal der Sehnsucht
Bewässerungsleitungen zu verlegen. Wenn Rosie nicht auf der Station arbeitete, dann arbeitete sie mit ihren Kelpies. Billy hatte ihr einen kleinen Übungsparcours gebaut, und dort hatte sie gelernt, wie wichtig es war, eindeutige Kommandos zu geben und die Stimme wie auch die Körpersprache richtig einzusetzen. All diese Techniken hatte ihr Jim gezeigt, ehe er gegangen war. Billy rief öfter abends an, und gemeinsam arbeiteten sie mit Sassys Fohlen. Er zeigte Rosie, dass die Ausbildung eines Pferdes ähnlich verlief wie bei einem Hund. Es ging immer nur um Anforderung und Belohnung. Ruhige, stille, sanfte Viehtreiberfähigkeiten, die sie tagein, tagaus einübte.
Schließlich fragte sogar Julian, der oft neben ihr auf den Weiden und in den Pferchen arbeitete, wie er seinen Hund zu mehr Leistung anspornen konnte.
»Komm schon, Schwesterchen«, drängte er. »Verrat mir deine Berufsgeheimnisse.«
»Das sind keine Geheimnisse. Zuerst einmal solltest du dir einen anständigen Hund zulegen«, neckte sie ihn, weil sein schlappohriger, zotteliger Collie wieder mal hechelnd im Schatten lag.
Sie war überglücklich, dass Julian heimgekehrt war. Er und Evan hatten ihr geholfen, einen Investitionsplan zu erstellen. Sie wollten die Hammelställe in einen Betrieb umwandeln, der superfeine Wolle aus Stallhaltung produzierte. Wenn die alten Silos während einer guten Saison mit Getreide aufgefüllt werden konnten, dann läge die Gewinnspanne bei einer arbeitsintensiven Wollproduktion weit über jener der traditionellen Weidewirtschaft auf Highgrove.
Tagsüber schien Rosie von unerschöpflicher Energie getragen, doch dafür fiel sie jede Nacht völlig erschöpft in ihr Bett im Quartier. In manchen Nächten träumte sie von Jim, aber sein Gesicht verschmolz immer mehr mit dem geisterhaften Antlitz Jack Gleesons, weshalb Rosie nach diesen Träumen immer mit einem Gefühl der Leere und völlig verwirrt aufwachte, so als hätte es Jim nie gegeben. Um ihr Gesellschaft zu leisten und Trost zu spenden, schlief Bones auf der Matte neben ihrem Bett. Im Lauf der Zeit gewann sie das leise Schnarchen lieb, und wenn sie sich besonders allein fühlte, fasste sie nach unten, um seine seidigen Ohren zu streicheln. Bisweilen kam es Rosie so vor, als wäre der alte Hund der einzige Beweis dafür, dass Jim je da gewesen war.
In einer heißen Dezembernacht hatte Rosie eben einen weiteren Artikel über Jack zu Papier gebracht und wollte gerade das Licht ausschalten, als jemand an ihre Tür klopfte.
»Bist du noch wach, Schwesterherz?«
Julian kam in den Raum geschlendert. Rosie wusste, dass er gekommen war, um ihr Trost zu spenden. Morgen jährte sich Sams Tod zum ersten Mal.
»Alles okay soweit?«, fragte er.
»Schon. Ehrlich«, bekräftigte sie und legte ihre Papiere beiseite. »Irgendwie kommt es mir so vor, als wäre das alles in einem anderen Leben passiert.«
Julian blieb am Fuß des Bettes stehen.
»Vermisst du ihn?«
»Ich denke kaum noch an ihn. Obwohl ich mich das kaum zu sagen traue.«
»Schon okay. Sam war nie der Richtige für dich. Wahrscheinlich hättest du dich nach einem Jahr wieder scheiden lassen.«
»Oder seine Schafscherer gepoppt«, meinte sie ironisch.
Julian schmunzelte kurz.
»Und vermisst du Jim?«, fragte er.
»Jim?« Rosie biss sich auf die Lippe und nickte. »Jede Minute.«
»Was ist mit Dad? Vermisst du ihn auch?«
Rosie zog die Stirn in Falten und sah Julian an. Dann lachten beide prustend los.
»Manchmal«, meinte sie liebevoll. »Manchmal vermisse ich den alten Mistkerl.«
»Dann sollten wir nach Weihnachten runterfahren und ihn besuchen«, schlug Julian vor.
Rosie nickte.
»Ja. Das wäre schön. Das sollten wir wirklich.«
»Also, dann bis morgen, Schwesterherz.«
Gerade als Julian die Tür zuziehen wollte, zog er einen Brief aus seiner hinteren Hosentasche und ließ ihn auf ihr Bett segeln. »Hab’ ganz vergessen, dass du Post bekommen hast.«
»Danke«, sagte Rosie und schnappte sich den Brief. Ihr Herz machte einen Satz, als sie die fremde Handschrift sah, mit der die Adresse gekrakelt war. Kam er von Jim? Hatte er endlich geschrieben? Sie konnte sich kaum bremsen, ihn aufzureißen.
»Nacht dann«, sagte sie zu ihrem Bruder.
»Nacht«, und er schloss die Tür. Rosie hatte den Brief eben aufgerissen, als Julian noch einmal den Kopf ins Zimmer streckte. »Stinkst du so, oder ist das der Hund? Das ist ja der Hammer!«
»Der Hund!«, beteuerte Rosie. »Wenn Lazy Bones in irgendwas fleißig
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