Australien 03 - Tal der Sehnsucht
schon vor Jahren die Wahrheit sagen sollen.
»Ich weiß, das war dumm und egoistisch«, sagte Margaret, als hätte sie die Gedanken ihrer Tochter gelesen. »Als die Wahrheit schließlich ans Licht kam und Gerald uns verließ, fand ich, dass es höchste Zeit war, das Chaos zu ordnen und Billy aufzuklären.«
»Du musst deiner Mutter verzeihen, Rosie«, sagte Billy. »Wir waren beide jung und dumm.«
»Inzwischen sind einige von uns alt und dumm«, ergänzte Margaret.
Rosie schüttelte lächelnd den Kopf. Sie sah Billy an, als sähe sie ihn zum ersten Mal, und studierte die gedrungene Statur, die sie ganz offenkundig von ihm geerbt hatte. Seine natürlich gebräunte Haut, genau wie ihre. Und seine so unglaublich blauen Augen. Wie ihre.
»Ich dachte die ganze Zeit, es wäre Carrots«, sagte Rosie schließlich.
» Was?«, empörte sich Margaret. »Was denkst du eigentlich von mir!«
Und dann mussten alle lachen.
Kapitel 36
A ls Rosie die Hauptstraße von Casterton entlangfuhr, erschien es ihr, als würden Sonne und Wolken darum raufen, wer an diesem Tag das Sagen haben sollte. Es war der Samstagmorgen des langen Juniwochenendes zu Ehren des Geburtstags der Königin. Immer wieder wehten Wolken vor die Sonne und schickten feinen Sprühregen auf die Straßen. Doch gleich darauf kam die Sonne wieder zum Vorschein, allem Anschein nach siegreich, und brachte die Straße zum Glänzen.
Kurz bevor Rosie den abgesperrten Bereich erreichte, in dem die Parade abgehalten wurde, hielt sie vor Mr Seymours Haus. Als sie ins Wohnzimmer trat, war er noch im Flanellpyjama.
»Wollen Sie etwa so auf die Kelpie-Parade gehen?«
Er wirkte genauso nervös wie seine Katze, die unter dem Couchtisch hockte und Rosie mit großen Augen anstarrte. Vielleicht war es ihm peinlich, dass sein Pyjama mit Käppchen tragenden Eisbären bedruckt war.
»Ach, Mädel, ich hab’ gestern Abend ein bisschen zu heftig dem Tullamore Dew zugesprochen. Ich bin wirklich nicht in der Verfassung für so was. Außerdem schnappen mich da draußen bestimmt die Gänse vom Essen auf Rädern. Die sind auf den Straßen unterwegs, verkaufen Lose und zerreißen sich den Mund darüber, wer schwanger und wer fett geworden ist oder wer sich nicht anständig angezogen hat. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich heute lieber aussetzen.«
Wie um seine schlechte Verfassung zu demonstrieren, hustete Mr Seymour laut und keuchend und griff sich an die Brust.
»O Mann! Das hört sich aber nicht gut an«, meinte Rosie. »Andererseits weiß man bei Ihnen nie, ob Sie einem was vorspielen oder nicht … Sie haben diese Nummer verflucht gut drauf! Ich schätze, Sie werden irgendwann einen Oscar dafür bekommen!« Sie rümpfte die Nase. »Ich nehme an, das heißt, dass Sie nicht mein Date für den Galaempfang heute Abend sein werden?«
»Sieht so aus, als müsstest du dir einen anderen Burschen suchen«, bestätigte er.
»Na schön. Dann werde ich wohl allein gehen. Ich bin viel zu aufgeregt wegen der Auktion morgen, um heute Abend lang zu feiern. Ich muss heute früh ins Bett.«
»Gut so, Mädel. Viel Glück mit deinen Hunden. Du wirst das schon machen. Jack Gleeson wäre stolz auf dich.«
Rosie wand sich innerlich. Meinte er nicht in Wahrheit, dass Jim Mahony stolz auf sie wäre? Vielleicht schon.
»Ich komm kurz in meinen Pantoffeln vor die Tür, um einen Blick auf deine feinen Hunde zu werfen.«
Draußen vor dem windschiefen Haus zeigte Rosie nacheinander auf jeden einzelnen Hund, während die Kelpies begeistert ihre Ruten gegen das Blech des Pick-ups schlugen.
»Der grau-braune ist Chester – der Alphahund des ganzen Wurfes. Macht mir schwer zu schaffen. Dann haben wir Sally, die kleine schwarz-braune. Die zwei rot-braunen sind Clyde und Coil. Clyde, der mit dem weißen Fleck auf der Brust, ist der größere.«
»Das ist eine stattliche Sammlung. Wenn du sie gut ausgebildet hast, wirst du an diesem Wochenende ordentlich Geld verdienen. «
»Ich tue es nicht wegen des Geldes.«
»Nein? Weshalb dann?«
»Ehrlich gesagt weiß ich es selbst nicht genau«, sagte Rosie. »Wahrscheinlich, weil ich es gern tue.«
»Wie wirst du es verkraften, wenn du dich von ihnen trennen musst?«
»Mmm? So weit habe ich noch gar nicht gedacht. Ich schätze, es wird noch mehr Würfe geben. Und ich weiß, dass sie zum Arbeiten geboren sind, deshalb kann ich unmöglich alle behalten. Meine anderen Hunde fühlen sich schon vernachlässigt… realistisch betrachtet könnte ich mich freuen,
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