Australien 03 - Tal der Sehnsucht
eine ganz ruhige, eigenartig losgelöste Weise begriff sie, dass sie und Oakwood mitsamt den beiden Hunden ertrinken würden.
Manchmal wurden sie in die Flussmitte gezogen, dann wieder an den Rand getrieben. Äste zerkratzten Rosie das Gesicht, und ihre Haut wurde an den Felsen unter der Wasseroberfläche aufgeschürft. Als sie um eine scharfe Biegung trieben, schwemmte sie der Fluss unter ein paar am Ufer stehende Weiden. Die Äste hingen wie Tentakel ins Wasser und bogen sich in der Strömung. Rosie streckte die Hand nach oben und bekam eine Hand voll schlanker Weidenzweige zu fassen. Sie spürte, wie die Blätter unter ihren Fingern vom Holz gezogen wurden, weil der Fluss so heftig an ihrem Körper riss. Verzweifelt packte sie im Vorbeiziehen noch mehr Weidenzweige und schaffte es sich festzuhalten, halb in der Luft baumelnd, während die Strömung sie unten wegzudrücken versuchte. Mit der anderen Hand hatte sie sich an Oakwoods Zügeln festgekrallt. Er strampelte wie wild mit den Beinen, um in ihrer Nähe zu bleiben, aber er schaffte es nicht. Rosie begriff, dass sie ihn loslassen musste. Sie schaute ihm nach, während er mit rollenden Augen schnell und flach atmend von ihr weggetrieben wurde. Sie war wie betäubt vor Trauer. Sie hatte ein wunderschönes Pferd zu Tode geritten. Die Hunde hatte sie auch ertränkt. Ihre Schultern schmerzten, aber trotzdem hielt sie sich mit aller Gewalt an ihrem rettenden Baum fest. Sie versuchte, sich wie ein Affe zu einem kräftigeren Ast weiterzuschwingen, aber die Strömung hielt sie in ihrem eisernen Griff. Sie hing fest. Schicksalsergeben sah sie ein letztes Mal nach Oakwood.
Zu ihrer Überraschung war er noch nicht außer Sichtweite getrieben worden, sondern schwamm immer noch wenige hundert Meter flussabwärts im Wasser. Die Strömung hatte ihn in eine Art kleine Bucht getragen. Schon hatte Oakwood die Ohren aufgestellt und begann im Herzen des ruhigen Wassers zu schwimmen. Er kam tatsächlich voran. Jetzt war er aus der Strömung heraus und schwamm dem Ufer entgegen. Rosie sah, wie er sich aus dem Wasser zog. Seine Hufe glitten im Schlamm aus, aber bald stand er auf festem Boden und schaute zu ihr her. Er senkte den Kopf bis dicht über den Boden und schüttelte, immer noch schwer schnaubend, das Wasser aus seinem Fell. Der Sattel hing lose unter seinem Bauch. Die Satteldecke hatte ihm der Fluss vom Leib gerissen und mitgenommen. Das Zaumzeug saß schief auf seinem einen Ohr, und die abgerissenen Zügel baumelten unter seinem Maul.
Rosie begriff, dass sie nicht ewig in den Weiden hängen bleiben konnte. Sie musste darauf setzen, dass die Strömung auch sie in diese kleine Bucht treiben würde. Sollte das Schicksal entscheiden. Ehe sie ihre steif gefrorenen Finger von den Weidenzweigen löste, schloss sie die Lider und rief sich Jim vor Augen. Wenn sie schon sterben sollte, wollte sie dabei wenigstens sein Gesicht vor Augen haben. Seine sanften, gütigen Augen und seine vollen, so genial küssbaren Lippen. Die Art, wie er sie mit einem Lächeln aufmuntern oder beschwichtigen und beruhigen konnte. Sie fühlte sich so unendlich bereichert durch die Begegnung mit ihm, diesem Viehtreiber Jim Mahony. Dem ersten Mann, der an ihre Seele gerührt hatte. Dann zog der Fluss sie fort. Sie streckte die Arme nach vorn und ließ sich von Stämmen und Ästen rammen. Halb auf den Rücken gedreht, schaute sie noch einmal zu den tief am Himmel hängenden grauen Wolken auf. Dann merkte sie, wie sie ganz still wurde und im nächsten Moment gemeinsam mit dem übrigen Treibgut, das der Fluss angesammelt hatte, ausgespien wurde. Und sie begann mit letzter Kraft zu schwimmen.
Kapitel 22
B ibbernd am Ufer stehend, schlang Rosie die Arme um Oakwoods Hals. Dann öffnete sie schwer keuchend die Schnalle des Sattelgurtes. Der durchnässte Sattel klatschte auf den Boden wie ein riesiger, toter Rochen. Er war zu schwer, um ihn aufzuheben, darum ließ sie ihn einfach liegen und führte Oakwood vom Fluss weg. Sie wateten durch nasses Sumpfland, bis sie auf den Zaun stießen. Rosie war klar, dass sie sich flussaufwärts halten musste, aber sie wusste nicht, wie weit sie gehen musste. Sie musste Jim und die Tiere wiederfinden. Also stellte sie sich auf einen umgestürzten Baumstamm und schwang sich von dort aus auf Oakwoods Rücken. Sie spürte seine Körperwärme durch ihre nassen Jeans, aber sie hörte trotzdem nicht auf zu bibbern. Die Zeit schien ihr zwischen den Fingern zu zerrinnen, während sie
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