Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Sommer über immer wieder Salz ausgelegt hatten, damit die Kühe es im Lauf der Wochen weglecken konnten. Hier oben fehlten dem Boden Mineralien, darum gaben die Cattlemen den Tieren regelmäßig Salz zum Lecken, damit sie gesund blieben und weiterhin auf ihre Rufe reagierten.
Normalerweise legte Emily für ihr Leben gern Salz aus, und zwar bei Wind und Wetter. Aber heute war ihr schwer ums Herz. Heute trieben sie zum letzten Mal die Herde auf dieser Weide zusammen, heute würde zum letzten Mal der Salz-Ruf über die Berge hallen. Dieses Land war ab sofort ein Naturpark.
Sie spürte die Schatten ihrer Vorfahren. Sie hatten das gleiche Bild vor Augen gehabt wie sie, die gleichen Kommandos gegeben wie sie, mit fast den gleichen Werkzeugen gearbeitet wie sie und genau wie sie das Salz in Jutesäcke eingewickelt und vor dem Sattel festgezurrt.
Emily stieg ab und begann den Sack zu lösen. Die diesige Morgenluft hatte ihn schwer und klumpig werden lassen, und ihre Rippen muckten auf, als sie ihn auf dem Boden ablud. Als sie sich bückte, um die Sisalschnur aufzuknoten, kippte Wasser aus ihrer Hutkrempe. Den ganzen Morgen über hatte es immer wieder geregnet. Zusammen mit ihrem Vater ging sie auf der Ebene herum und schüttete das grobe Salz zu kleinen Kegeln auf.
Die Rinder kamen aus dem Gehölz getrabt, umtänzelt von ihren springenden und aufgeregt schnaufenden Kälbern. Sie reckten die Schwänze hoch und hüpften herum wie kleine Kinder.
Als die Rinder den Reitern so nahe kamen, dass die unsichtbare Bannmeile, die ihre Fluchtzone darstellte, durchbrochen zu werden drohte, blieben sie schlagartig stehen, stemmten die Beine in den Boden, rumpelten ineinander und hoben schnuppernd den Kopf. Dann senkte die Wagemutigste unter ihnen, eine dunkelbraune Kuh, den Kopf und schritt langsam voran, womit sie den Bann durchbrach und die Reiter in ihre Fluchtzone ließ. Sie streckte die Zunge dem Salz entgegen und versenkte dann die Nase in den Kegel, dass die weißen Körner an den feuchten rosa Nüstern kleben blieben. Auch andere Kühe wagten sich jetzt vor, während sie nervös die Köpfe in Rousies Richtung schwenkten, der hechelnd abseits lag. Doch die Verlockung des Salzes war zu groß, als dass sich die Kühe von einem Hund abschrecken ließen.
Emily schnürte den Sack wieder zu und band ihn wieder vor den Sattel, während Flo die Kühe zählte.
»Sechsundfünfzig. Das ist nicht mal ein Drittel«, stellte sie fest.
»Schließen wir erst einmal das Gatter und versuchen dann die Übrigen unten bei Shepherd’s Hut zu finden«, schlug Rod vor.
Emily wendete Snowgum und ritt neben ihrer Familie weiter, den Kragen hochgeschlagen und den Hut gegen den von Osten heranwehenden Regen ins Gesicht gezogen.
Seit Wonnangatta hatte Luke mehrmals bei ihrem Vater angerufen und jedes Mal eine Nachricht hinterlassen. Anfangs hatte Emily mit dem Gedanken gespielt, sich mit ihm zu treffen, aber als die Briefe vom Amt eintrudelten, in denen den Flanaghans erklärt wurde, dass ihre Weidelizenzen widerrufen worden waren, spürte sie den alten Groll köcheln, und dieser Groll schloss Luke ein. Schließlich arbeitete er für den VPP . Er trug seinen Teil dazu bei, dass sie vertrieben wurden. Er konnte nicht zu ihrem Clan gehören. Vielleicht hatte er sie am Flussufer so geliebt, als würde er wirklich etwas für sie empfinden, aber hatte er nicht stumm abseits gestanden, als Emily ihn am dringendsten gebraucht hatte?
Flo lenkte ihr Pferd neben das von Emily.
»Dir ist doch klar, dass wir zwei Tage keinen Handyempfang haben werden, sobald wir über den Kamm geritten sind. Du solltest lieber noch einmal deine Mädchen anrufen.«
Emily lächelte bei der Vorstellung, wie Tilly und Meg gemütlich neben Evies Holzofen und damit in ihrer ruhigen, gütigen Aura spielten. Doch gerade als Emily das Handy aus der Tasche ihrer Öljacke zog, ergänzte Flo: »Und du solltest auch diesen Luke anrufen. Erlös den armen Kerl endlich aus seinem Elend.«
Emily schoss einen kurzen Seitenblick auf ihre Tante ab. Sie hatte im Laden einen Scheck über den Verkaufspreis des Wallachs hinterlegt und dazu eine kurze Nachricht an Luke, die all seine Hoffnungen zerstören müsste. Ohne jeden Hinweis auf eine gemeinsame Zukunft.
»Komm später nach«, sagte Flo und drängte ihr Pferd nach vorn. »Tu das Richtige, Emily«, rief sie ihr zu. Emily saß seufzend auf Snowgums Rücken und starrte auf das Handydisplay. Überrascht stellte sie fest, dass eine Nachricht
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