Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
dösten und teils im Gras lagen und widerkäuten.
»Ob das Brumbys waren?«, fragte Luke.
Emily schüttelte den Kopf.
»In dieser Gegend hat noch niemand verwilderte Pferde gesehen. Vielleicht drüben in der Mansfielder Gegend, aber hier nicht und schon gar nicht so eine große Herde.« Sie fasste nach seiner Hand. »Luke, ich habe Angst.«
Er zog sie zu sich her, und sie drückte ihr Gesicht gegen seinen warmen Körper.
»Kann ich verstehen. Das war tatsächlich ziemlich schräg.«
Er streichelte ihr übers Haar. Die Berührung spendete ihr etwas Trost, denn damit kehrte die Erinnerung an ihr Zusammensein zurück. Dann löste er sich von ihr.
»Ich muss jetzt gehen. Es wird bald hell.«
»Ja«, sagte sie. Plötzlich wurde ihr die Situation bewusst.
Er beugte sich vor und setzte einen kurzen Kuss auf ihre Lippen.
»Sehe ich dich wieder?«
Es war eine Frage, keine Feststellung, und er säte damit einen winzigen Samen des Zweifels in Emilys Herz. Dann war er fort und eilte im Dauerlauf auf das ehemalige Farmhaus zu, wo die Ranger ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Emily saß in ihrem Zelt, hatte die Knie an die Brust gezogen und merkte, wie in ihr die widersprüchlichsten Gefühle kämpften. Angst, Leidenschaft, tiefste Verzweiflung. Sie wartete auf den Sonnenaufgang, auch wenn sie dann die Nachricht überbringen musste, dass das Parlament beschlossen hatte, die Rinderhaltung in den Bergen zu verbieten. Sie rollte sich zu einem Ball zusammen, zog sich die Jacke über die Schultern und döste ein.
Nicht lange darauf wurde sie von Geräuschen vor ihrem Zelt geweckt. Speck und Eier brutzelten, Wasserkessel blubberten, Tee dampfte, und das Klappern und Klirren der Zeltstangen hallte durch die Luft, weil die Camper schon im ersten blauen Morgenlicht ihr Lager räumten. Nachdem es bald Zeit war, die Rinder heimzutreiben, wurden überall Satteltaschen mit Essen beladen, Wasserflaschen aufgefüllt und Eimer vom Fluss heraufgetragen, um die Pferde zu tränken. Emily fand Trost in diesem so alltäglichen Anblick. Sie trat an Bridies Zelt, das gleich neben ihrem stand, und schlug mit der flachen Hand gegen die Zeltwand.
»Was ist?«, hörte sie eine tiefe Stimme.
»Sam? Was machst du da drin?«
»Hab mich wohl verirrt, wie?«
»Hab nur ein Zelt eingepackt«, meldete sich Bridie zu Wort.
»Bridie! Schaff deinen Pfirsichhintern hier raus! Ich muss unbedingt mit euch reden!«
»Okay!«, antwortete Bridie. »Ich muss sowieso pinkeln gehen.«
»Ach, wie fürnehm!«, kommentierte Sam. »Dieses Buschwindröschen hat ja so viel Klasse.«
Emily hörte einen Schlag und gleich darauf Sams »Autsch!«.
»Bitte schlag mich nicht!«
»Gestern Abend hat sich das aber anders angehört …«, sagte Bridie.
»O bitte«, mischte sich Emily ein. »Es ist mir ernst.«
Verwuschelt, aber mit glühendem Gesicht tauchte Bridie in ein rotes Satinnachthemd mit schwarzem Spitzenbesatz um ihren Busen gehüllt aus dem Zelt auf.
»Du bist mit dem Ding campen gegangen?« Einen Moment hatte Emily die Nachrichten vergessen, die sie überbringen musste.
Bridie sah an sich herab. »Es hat funktioniert, oder etwa nicht?«
Die beiden umarmten sich kurz und lachten. Dann wurde Emilys Gesicht wieder ernst.
»Was ist denn?« Bridie löste sich von ihr.
Emily brachte die Worte kaum über die Lippen. Sam streckte den Kopf aus dem Zelt und sah zu seiner Schwester auf.
»Luke war gestern Abend bei mir«, erzählte sie, »um mir zu sagen, dass das Parlament das Gesetz verabschiedet hat. Damit ist es ab sofort gesetzlich verboten, die Rinder auf unsere Bergweiden zu treiben.«
Sam verschwand im Zelt und kletterte hastig in seine Kleider. »Also haben sie es tatsächlich wahr gemacht. Nach all den Jahren.«
»Ist das zu fassen?«, fragte sie. »So viel Zeit, so viel Mühe und wozu?«
»Weiß Dad schon Bescheid?«, fragte er. Emily schüttelte den Kopf und sah zum Himmel auf. »Wie soll ich ihm erklären, woher ich das weiß? Soll ich sagen, dass ich drüben bei den Parkwächtern war und ihnen einen Höflichkeitsbesuch abgestattet habe?«
Bridie zuckte mit den Achseln. »Es tut nichts zur Sache, dass du es von Luke weißt.«
»Ich glaube, das könnte es sehr wohl.«
»Ich werde es ihm sagen«, bot Sam ihr an. »Ich gehe gleich zu ihm. Ihr Mädchen packt zusammen. In einer Stunde müssen wir hier weg sein.«
Bridie und Emily spazierten an den Ort, wo Emily und Luke geschlafen hatten. Die Sonne stand noch nicht so hoch, dass sie das Flussufer
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