Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
dazugehörigen Anhänger zu treiben.
»Wo steckt sie nur?«, flehte Rod, als Flo die Innentür des Laderaumes schloss.
Seine Schwester richtete den Blick auf die rauchverhangenen Wiesen. »Ich weiß es nicht.«
Rod war außer sich. Wie konnte sie ihm das antun? Wie konnte sie ihn und die Mädchen im Stich lassen? Wie sollte er es ertragen, sie ein zweites Mal zu verlieren?
Je später es wurde und je mehr Rinder sie erst in den Auflieger und dann in den Anhänger getrieben hatten, desto größere Panik sah Flo in den Augen ihres Bruders. Immer wieder sah er sich verzweifelt um, rief nach Emily, kletterte auf die Querstreben der Zäune, um besser sehen zu können, und schrie sich heiser. Er hatte keine Hilfsmittel hier, um nach ihr zu suchen. Keine Möglichkeit, sie zu finden. Er wusste, er hätte ihr nie erlauben dürfen, die Rinder alleine zusammenzutreiben, aber er hatte ihr die Möglichkeit geben wollen, aus seinem Schatten zu treten. Sie hatte begreifen sollen, dass sie weit mehr war als nur die Tochter eines Cattleman. Jetzt verfluchte er sich dafür. Flo kam zu ihm und zupfte ihn am Arm.
»Rod!«, schrie sie gegen das Gebrüll des tosenden Windes an. »Wir müssen hier weg!«
»Ich kann sie nicht hierlassen!«
»Wir müssen die Mädchen wegbringen. Wir müssen los. Sofort ! «
Rod sah die Todesangst im Gesicht seiner Schwester und begann zu beten. Immer und immer wieder betete er, so wie letztes Jahr, als er vor dem Operationssaal eines Krankenhauses in Melbourne um das Leben seiner Tochter gebetet hatte.
»Rod«, redete Flo ihm zu. »Sie kennt das Land. Sie weiß, dass sie nach Mayford gehen muss. Wenn sie erst vom King’s Spur herunter ist, ist sie in Sicherheit. Es ist unsere Emily. Sie schafft das schon. Jetzt müssen wir uns vor allem um ihre Kinder kümmern.«
Er nickte. Benommen und stumm kletterte er in die Kabine, während Flo die Rinder, die nicht in den Schlepper gepasst hatten, auf die größte, kahlste Weide führte, wo sie hoffentlich überleben würden. Während sie wie eine Besessene in Richtung Dargo fuhr, um dem Feuer zu entkommen, gab sie per Funk durch, dass Emily Flanaghan vermisst wurde. Sie stieß die Worte ins Mikrofon, und jedes einzelne stach wie ein Messer in Rods Brust.
Zitternd drehte Flo sich zu ihm um und sah ihn auf seinem Sitz kauern. Wir dürfen Emily nicht verlieren, dachte sie. Nicht noch einmal! Sie merkte, wie die Panik auch von ihr Besitz ergriff, und zwang sich, besonnen zu bleiben. Sie musste ihren Bruder trösten.
»Emily kennt sich aus. Sie kommt durch. Hundertprozentig. Pass auf, jeden Augenblick wird sie auf ihrem fetten Pferd durch die Bäume geritten kommen, zusammen mit ihrem spillerigen spleenigen Hund, und ehe du dich versiehst, stehen wir alle zusammen im Dargo Hotel und trinken einen … nachdem du ihr eine ordentliche Tracht Prügel verpasst hast und ich ihr gleich noch eine hinterher, weil sie uns so einen Scheißschrecken eingejagt hat. Schon wieder!«
Flo schaute für einen kurzen Augenblick von der steilen, kurvigen Bergstraße auf und musste schwer schlucken, als sie sah, wie ihr Bruder weinend und verzweifelt die rauchverhangene Landschaft um sie herum absuchte. Sie rammte den Ganghebel in den zweiten Gang, nahm die erste von vielen Kurven auf dem Weg ins Tal und betete, dass Emily zurückfinden würde. Und dass die Flammen nicht vor ihnen Evies Haus erreichen würden.
Endlich hatte Emily in weiter Ferne einen rotbraunen Fleck zwischen den Bäumen entdeckt. Die Kühe hatten sich in die hinterste Ecke der Weide zurückgezogen. Sie fluchte. Sie war schon jetzt weiter von der Farm entfernt, als ihr lieb war. Inzwischen stach ihr der Rauch in die Augen, sogar Snowgum wirkte unruhig, warf den Kopf hin und her und kaute nervös auf der Beißstange in ihrem Maul. Ihre Nervosität wirkte ansteckend, auch Bonus schwitzte nicht nur wegen der drückenden Hitze, sondern vor allem vor Aufregung. Doch Emily konnte ihre Rinder auf keinen Fall im Stich lassen. Sie trieb die Pferde vorwärts.
Der böige, heiße Wind, der dichte Rauch und der dunkle Himmel machten die Rinder so rastlos, dass Emily und Rousie länger als sonst brauchten, um sie zusammenzutreiben. Sie war so auf die Tiere konzentriert, dass sie erst nach einer Weile aufsah und erschrocken die Rauchwolke bemerkte, die genau auf sie zuwehte. Erst jetzt erkannte Emily, dass der Wind gedreht hatte.
Die Flammen am Horizont hielten direkt auf sie zu, sie fraßen sich in Windeseile über die
Weitere Kostenlose Bücher