Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
kurz nach Mittag war, wurde es schon dunkel. Sie schluckte ihre Angst hinunter und machte sich daran, ihre Rinder auf den Weidegebieten zu suchen.
Sie prüfte noch einmal die beiden Wasserschläuche, die links und rechts an Bonus’ Packsattel hingen. Der Wallach trug das Gewicht ohne Probleme. Er hatte den Winter über schon viele Lasten getragen, trotzdem wackelte er unruhig mit den Ohren, weil das Wasser bei jedem Schritt in Bewegung kam. Im Trab machte ihn das unkontrollierte Schaukeln des Wassers nervös. Er trat leicht zur Seite und warf den Kopf herum.
Erst versuchte Emily, ihn zu beruhigen, doch als er sich weiter sträubte, erklärte sie ihm streng: »Da musst du durch, Kumpel, ob es dir gefällt oder nicht. Das ist ein Notfall!« Sie zupfte kurz an der Führungsleine. Offenbar interpretierte er ihren ruppigen Tonfall und den kurzen Ruck als Mahnung und fügte sich gehorsam in sein Los.
Nachdem sie etwa eine halbe Stunde nach Norden geritten waren, entdeckte Emily die Kühe versteckt unter ein paar dichtstehenden Eukalyptusbäumen am Rand einer freien Fläche. Die Kühe spitzten die Ohren, als sie die Reiterin erblickten, und ein paar von ihnen kamen neugierig angeschlendert, unruhig schnuppernd und nervös wegen des Rauchgeruchs. Emily schickte Rousie in den Rücken der Herde und folgte, nachdem er die Herde in Bewegung gebracht hatte, den Rindern in leichtem Galopp über Gräben und liegende Stämme hinweg.
Am anderen Ende der Leine bockte Bonus, als es losging, weil ihm die schwankenden Wassersäcke immer noch nicht behagten, aber nach Emilys kurzem knurrenden Tadel gab er wieder Ruhe. Zum Glück hatten die Schnüre gehalten, mit denen die Schläuche befestigt waren. Sie wusste, dass sie keine Zeit verlieren durften. Bald hatte sie die Kühe und Kälber zu einer dichten Gruppe zusammengetrieben, musste aber, nachdem sie durchgezählt hatte, feststellen, dass sie nicht alle gefunden hatte. Sie verzog das Gesicht.
»Da fehlen noch fünfundzwanzig«, sagte sie. Über die offene Fläche konnte sie in Richtung Osten blicken, wo ein blauer Himmel lachte, während im Westen eine Rauchwand stand. Erleichtert, dass der Wind sich gelegt hatte, beschloss sie, die Kühe in die Pferche zurückzutreiben. Immerhin hatte sie den Großteil der Herde gefunden, vielleicht blieb ihr danach noch Zeit, die Übrigen zu suchen. Der Truck würde frühestens in einer halben Stunde eintreffen, und der Wind trieb das Feuer mittlerweile nach Südwesten, auf Wonnangatta zu.
Auf der Farm scheuchte Emily die Rinder in den Pferch gleich neben der Laderampe. Um sie herum lag alles unter diesigem Qualm, und der Wind wehte inzwischen aus allen Richtungen. Hin und wieder trudelte ein geschwärztes Blatt zu Boden wie Konfetti aus der Hölle. Ein einziges brennendes Blatt oder ein vom Wind verwehtes Glutstückchen konnten hier ein verheerendes Feuer auslösen.
Wieder schwang sie sich auf Snowgum. Sie hatte noch Zeit, ein letztes Mal nach dem Rest der Herde Ausschau zu halten, vielleicht würde sie ja auf einem kurzen Galopp über die Weideflächen die fehlenden Kühe und Kälber aufstöbern. Sie hatte Horrorstorys darüber gehört, dass Feuerwehrleute gespenstische weiße Abdrücke auf dem Boden gefunden hätten, wo Tiere bei lebendigem Leibe verbrannt waren, weil tierisches Fett heißer brannte als jedes Holz. So wollte sie ihre Rinder auf keinen Fall sterben lassen. Je eher sie alle gefunden hatte, desto schneller kam sie hier heraus. Dann würde sie zu ihren Mädchen nach Dargo fahren und ihnen, wenn dieser Brand erst überstanden war, eine Limonade im Pub spendieren.
Sie wendete Snowgum und ritt von Bonus gefolgt von den Pferchen weg.
»Such die Rinder, Junge«, sagte sie zu Rousie, der, die Nase im Wind, mit schmalen Augen in den immer dichter werdenden Qualm stürmte.
43
Auf der Hochebene spähten Rod und Flo durch den dichten Rauchschleier über den Weiden rund um die Farm und entdeckten den Großteil der Herde in den Pferchen. Nur Emily war nirgendwo zu sehen. Entsetzt sahen sie, dass fliegende Glutstückchen kleine Feuer angefacht hatten, die oberhalb der Baumgrenze an den Wiesenflächen nagten. Beiden war klar, dass Emily dort oben nach dem Rest der Herde suchen würde. Der Qualm brachte Rods Augen zum Tränen.
Auf keinen Fall durfte er sie noch einmal verlieren, dachte er.
»Emily!«, schrie er in das leere Buschland. Flo machte sich mit grimmiger Miene daran, die Rinder in den zweistöckigen Sattelschlepper und den
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