Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
sich immer zu bewegen, sich bei der Arbeit zu verausgaben. Während der letzten drei Jahre, in denen er für seinen Abschluss in Umweltmanagement gebüffelt hatte, hatte Luke allein seinen Kopf gebraucht. Weder seine Hände noch seine Beine. Manchmal, wenn die Vorlesungen in esoterischere Gefilde abgedriftet waren, hatte er sogar bezweifelt, dass sein Hirn arbeitete.
Jetzt konnte es Luke kaum erwarten, aus der Stadt herauszukommen. Aber wohin sollte er? Er wischte noch einmal über den Spiegel und drehte sich zur Seite, um seinen Bauch herauszudrücken. Da war nichts. Sein Leib war wie gemeißelt, und seine Haut wie dunkles Karamell, ein Körper ohne ein Gramm Fett, eine positive Folge des Spritzers Eingeborenenblut, den er in sich trug. Seine Hautfarbe war eher ungewöhnlich für den Sohn eines weißen Bauern aus dem Weizengürtel. An der winzigen Grundschule, die er früher besucht hatte, hatten ihn seine Mitschüler, die ebenfalls Farmersöhne waren, oft »Coon« oder »Boong« gerufen. Wenigstens schien sich hier in der Stadt kein Mensch an seiner Hautfarbe zu stören. In der Bevölkerung von Melbourne waren alle Farbtöne zu finden.
Er öffnete die Badezimmertür, trat in einer Dampfwolke hinaus und schlenderte durch den mit Rädern, Kajaks, Rucksäcken und Campingutensilien vollgestellten Gang. In der Küche aß seine Freundin Cassy gerade einen Bio-Neunkorntoast mit Tahinpaste. Sie las in der Age und sah nicht auf, als er eintrat.
»Guten Morgen«, sagte er.
Sie grunzte und las weiter. Wieder einmal fragte sich Luke, warum er sich eigentlich mit ihr abgab. Er schloss die Augen und spürte, wie sich die langen Wimpern auf die hohen Wangenknochen legten. Er wusste genau, warum er so viel Zeit mit ihr verbrachte. Was gab es für ihn denn anderes zu tun? Was gab es für ihn noch zu tun, nachdem sein Dad die Farm verkauft hatte? Mit Cassy Jacobson flog die Zeit nur so dahin. Sie war völlig abgedreht, und sie hatte ihn aus seinem sicheren Nest gezerrt.
»Friss Scheiße«, sagte sie, als sie den Artikel fertig gelesen hatte.
»Ich nehme lieber Haferflocken, danke«, sagte er mit einem Funkeln in den Augen.
»Hä?« Sie sah auf.
»Du hast gerade gesagt, ich soll Scheiße fressen«, wiederholte er, und ein Grübchen bohrte sich in seine Wange. Cassy schoss einen finsteren Blick auf ihn ab. » Du doch nicht. Das da.«
Sie pickte mit dem dünnen Finger auf die Zeitungsseite. Luke stieß sich von der Küchentheke ab und beugte sich über ihre Schulter, um den Artikel zu lesen.
»› Die Tochter eines Cattleman aus dem Hochland wurde gestern beim Victorian Mountain Cattlemen’s Cup auf den Jumble Plains bei einem katastrophalen Unfall verletzt‹ «, las er in seiner besten Nachrichtensprecherstimme vor. »› Emily Flanaghan, 26, aus Brigalow, wurde während des Rennens gegen einen Baum geschleudert. Die anwesenden Sanitäter belebten sie noch am Unfallort wieder, dann wurde sie nach Melbourne geflogen, da bei ihr innere Verletzungen vermutet wurden. Ihr Zustand ist kritisch. Über den Zustand ihres Pferdes konnte die Rennleitung keine Auskunft geben.‹«
Luke sah in Cassandras stechend blaue Augen. »Und dazu sagst du ›friss Scheiße‹?«
»Genau. Diese blöde Kuh. Verfluchte Rinderzüchter! Geschieht ihr ganz recht. Dieser Baum wollte ihr was sagen … Verschwindet aus den Bergen!«
Luke nickte. »Vielleicht, aber das Mädchen muss einem trotzdem leidtun. Gegen einen Baum zu fliegen ist ziemlich übel.«
»Ich habe kein Mitleid mit ihr. Ich mache mir mehr Sorgen um das Pferd. Das arme Ding hatte schließlich keine Wahl, oder?«
»Cassy, du bist so streng! Und gemein, vor allem zu mir.«
»Ach wirklich?« Sie drehte sich um und kratzte mit den Fingernägeln über seinen nackten Rumpf.
»Autsch!« Er wich zurück, aber sie hielt ihn am Handtuch fest.
»Komm her, mein Hübscher. Ich will dich beißen.«
Er spürte ihre spitzen Zähne auf seiner Haut und beugte sich vor, um ihren Biss zu erwidern. Lustvoll knabberte er an dem langen, dünnen Hals, und spürte, dass die ersten Stoppeln aus ihrem Demi-Moore-Irokesen-Schnitt heraussprossen. Sie schmeckte nach Lavendel und Sandelholzöl. Der Duft haftete ihr noch nach ihrem glitschigen Liebesspiel vom Vorabend an, als sie im Bad bei Kerzenlicht eine ganze Flasche Massageöl über ihm ausgekippt hatte. Sie hatte das Öl nur flüchtig aufgewischt und dabei kichernd nackt vor ihm gekauert und mit einem Handtuch über das ölverschmierte Email
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