Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
geschlossenen Augen so sitzen, sie ließ die bitteren Erinnerungen aufsteigen und dann verfliegen, bevor sie ihren Geist behutsam zu den besseren Zeiten lenkte, die vor ihr lagen.
24
Emily war seit Jahren nicht mehr jenseits der großen Flussschleife gewesen und konnte sich kaum an das Häuschen erinnern, das dort versteckt im Busch hockte. Auf der Fahrt dorthin merkte sie, wie sie sich zu entspannen begann. Ihre Kehle war wund und heiser, aber sie konzentrierte sich jetzt darauf, sich einen weniger steinigen Weg in die Zukunft zurechtzulegen.
Bis sie das Schild mit der Aufschrift VERKAUFT sah, hatte sie sich wieder gefasst. Sie beschloss, nicht an Clancy zu denken. Oder an das Baby. Von jetzt an würde alles besser werden, schwor sie sich und begriff im selben Moment, dass die Zufahrt zu Lukes Haus unerwartet steil war. Sie hätte vorher daran denken sollen, den Anhänger abzukoppeln. Das hier war der reinste Ziegenpfad. Weil sie nicht wusste, ob es jenseits der steilen Anhöhe eine Möglichkeit zum Wenden gab, ließ sie den Wagen knapp hinter dem Tor auf einer flachen Koppel stehen und legte das letzte Stück zu Fuß zurück, froh, dass sie den Rum und kein Sixpack Bier als Gastgeschenk gewählt hatte. Sie griff nach einem Umschlag, den sie und Evie für Luke vorbereitet hatten, rief Rousie bei Fuß und stieg das letzte Stück des steilen Hügels hinauf, wobei ihr Körper nach ihrer langen Erholungsphase gegen die plötzliche Anstrengung protestierte.
Oben auf der Anhöhe sah sie das rostfleckige Blechdach des Hauses, das in ein malerisches Eck gebettet war. Aus dem Kamin stieg eine gemächliche Rauchfahne. Dargo war voller verborgener Schätze. Hinter jeder Flussbiegung und hinter jedem Hügel gab es einen weiteren Flecken zu entdecken, an dem irgendein alter Idealist mitsamt seinem Traum von einem kleinen Bauernhof gestorben war, und nur ein flüchtiges Zeugnis in Form einer Hütte, eines Schuppens und eines kleinen Gärtchens zurückgeblieben war. Immer öfter wurden diese verfallenen Behausungen von Städtern aufgekauft, die sich ein kleines Refugium im Busch zulegen wollten. Dargo hatte dadurch etwas von der unsteten Atmosphäre eines Ferienorts angenommen, aber die Touristen bedeuteten auch neue Jobs, Barbesucher, Kunden und etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit.
Dargos Zukunft lag inzwischen weder in der Rinderzucht noch im Holz oder Gold, sondern im Tourismus. Obwohl das wuchernden Unkraut deutlich machte, dass Städter, die ihre Zweitwohnung zu selten besuchten, auch Probleme bringen konnten. Dieses verwahrloste Grundstück war im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich. Emily hoffte, dass Luke es vor der nächsten Brandsaison roden würde.
Direkt über dem Haus standen ein paar Eukalyptusbäume auf einer begradigten Anhöhe, wo sich etwas bewegte. Als Emily näher kam, erkannte sie, dass es ein Pferd mit Reiter auf einem Reitplatz war.
Ein junger brauner Wallach mit weißer Blesse und weißen Socken, genau wie der in ihrem Traum von Mayford , zog im Kantergalopp seine Kreise auf dem sandigen Boden. Emily näherte sich lautlos und lehnte sich an einen Baum, um zuzusehen.
Was sie zu sehen bekam, verschlug ihr den Atem. Sie vergaß all ihre Sorgen. Luke saß tief im Sattel und bewegte sich in vollkommenem Einklang mit seinem Pferd. Die mühelosen Bewegungen des Wallachs ließen darauf schließen, dass Luke ihn mit sanfter und erfahrener Hand lenkte. Er trug einen weitkrempigen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte, und ein blaues Unterhemd, das seine muskulösen Arme frei ließ. Seine breiten Schultern sahen aus, als könnten sie mit Leichtigkeit eine Axt schwingen, und eng anliegende Jeans betonten seine langen, kräftigen Beine. Die Stiefel, die in perfekter Reitposition mit der Hacke nach unten zeigten, waren verschrammt und alt.
Luke wendete den Wallach in einer perfekten Acht und ließ sich danach im Sattel zurücksinken, woraufhin das junge Pferd fast augenblicklich zum Stehen kam. Danach streichelte er ihm den Hals. Emily schmolz dahin, als sie seine Handfläche über das glänzende Fell des Wallachs gleiten sah. Sie versuchte, sich auf das Pferd zu konzentrieren, sich den Körperbau und die Bewegungen einzuprägen, doch immer wieder kam ihr Blick auf Luke zu liegen. Er war ein Magier auf dem Pferd. Sie schämte sich, ihn aus dem Gebüsch heraus zu belauern, und fragte sich, ob sie einfach umkehren und den Anhänger wegbringen sollte. Aber wenn er sie dann wegfahren sah, war das auch
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