Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
unmöglich. Sie beschloss, ihn zu rufen, um sein junges Tier nicht zu verschrecken.
»Hallo!« Sie ging dicht gefolgt von Rousie auf ihn zu.
Luke erschrak, als er sie sah. Es war, als hätte er sie mit seinen Gedanken heraufbeschworen. Er ritt auf sie zu, das Gesicht unter dem breiten Hut verborgen, während der Wallach sich der Fremden mit gespitzten Ohren und glänzenden Augen näherte.
Emily sah beim Gehen auf den Boden und merkte erst, als sie wieder aufsah, dass Luke direkt vor ihr auf dem Pferd saß.
»Ein prächtiger Anblick«, sagte sie, den Blick auf den glänzenden Braunen gerichtet, aber eigentlich meinte sie Luke.
»Er ist zu verkaufen.«
»Wirklich? Ich wusste nicht, dass du …« Ihre Stimme versiegte.
»Was wusstest du nicht?«
»Ich wusste nicht, dass du reiten kannst. Stadtjungen reiten nicht so.«
»Wenn das nicht diskriminierend ist.«
Emily streichelte sanft den Hals des Wallachs und dachte dabei an Evie und ihren Rat, niemanden vorzuverurteilen.
»Ja, das ist es. Entschuldige. Ich war ziemlich herablassend, oder? Eigentlich sollte es egal sein, dass du aus der Stadt kommst.«
»Unbedingt. Außerdem habe ich nur ein paar Jahre in der Stadt gelebt. Eigentlich komme ich aus dem Weizengürtel in Wimmera.«
»Aus Wimmera!« Emily dachte an das weite, flache Anbaugebiet, das so ganz anders war als ihre Heimat. Mit seiner dunklen Haut und dem schlanken Körper schien er in diese trockene, sonnendurchflutete Landschaft zu passen. Er war also doch ein Countryboy! Etwas in ihr erblühte. Plötzlich kam ihr Luke viel attraktiver, viel realer vor. Sie schüttelte reumütig den Kopf.
»Dann muss ich mich gleich doppelt bei dir entschuldigen. Einmal dafür, dass ich dich für einen Stadtjungen gehalten und Witze über dich gerissen habe, und außerdem für Clancys Verhalten. Hast du dich wieder erholt?«
Luke hob die Hand ans Gesicht und legte einen Finger auf eine kleine Narbe an seiner Nase.
»Geht schon wieder.«
Emily streckte ihm den Rum hin.
»Ein Willkommensgeschenk und eine Flasche voller Entschuldigungen. Außerdem habe ich dir eine Kopie des tasmanischen Gesetzes mitgebracht, von dem ich dir erzählt habe, und dazu eine Untersuchung über die Waldbrände von 2003.«
Er lächelte. »Na, dann Prost! Ich liebe Bundy-Rum. Und so liebevoll dekoriert. Danke für die Kopien. Ich werde sie auf jeden Fall lesen. Ich hab keinen Fernseher hier.«
Emily sah wieder auf das junge Pferd. »Wie ich sehe, bist du ein erfahrener Reiter.«
»Ich bin auf ein paar Turnieren geritten, und ich habe früher vom Pferd aus die Schafe zusammengetrieben, das war mir lieber als mit dem Motorrad. Inzwischen stehen allerdings nur noch Bäume auf unserer Farm, wirklich schade. Dad hat sie verkauft.«
Emily bekam sofort Mitleid mit ihm. Wenn ein Countryboy diese vier Worte sagte: »Dad hat sie verkauft«, dann war etwas in ihm gestorben. Kein Wunder, dass sich Luke in der Stadt an der Seite von Ratgirl verloren gefühlt hatte.
»Das tut mir leid«, sagte sie.
Er zuckte mit den Achseln. »Mein Bruder wollte das Geld und mein Dad seine Ruhe.«
Emily blickte auf und sah ihn auf dem Rücken seines wunderschönen Pferdes sitzen. Sie merkte, wie sie flacher zu atmen begann, nervös und schüchtern wurde.
»Willst du mal oben sitzen?«, fragte er und lächelte sie an.
»Wie bitte?«, fragte sie. »Oben sitzen? Du … ich meine, ich?«
»Auf dem Pferd, meine ich.«
Prompt wurde Emily rot. Sie beobachtete, wie sich Luke von dem Wallach gleiten ließ und direkt vor ihr aufkam. Er war viel größer als sie, und seine Schultern waren breit. Verunsichert an ihrer Unterlippe nagend reichte sie ihm die Rumflasche und die Dokumente.
»Dann könnte ich meinen Arm gleich mal ausprobieren. Der Gips wurde heute Morgen entfernt.« Sie hielt ihren Arm in die Höhe.
»Du brauchst unbedingt ein bisschen Farbe!«
»Beschimpfst du mich jetzt etwa als Stadtpflanze?«
Beide lächelten, dann nahm sie ihm die Zügel aus der Hand und schwang sich in den Sattel. Das Bier in ihrem leeren Magen, der hübsche Junge vor ihr und die Neuigkeiten über Penny und Clancy machten Emily übermütig. Wenn Clancy ein neues Kind bekam, konnte sie wenigstens ein neues Pferd bekommen.
»Er ist zu verkaufen? Woher hast du ihn? Wie viel willst du für ihn? Kann ich ihn gleich mitnehmen?«
Luke legte den Kopf in den Nacken und reagierte mit einem Lachen auf ihre Fragensalve. Sie schenkte ihm ein Lächeln und trieb das Pferd mit einem Schenkeldruck
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