Auswahl seiner Schriften
mich gewirkt hatte, so ward nun diese letzte Klangerinnerung geheimnißvoll mächtig in mir von Neuem lebendig, als ich zum ersten Mal wieder mit den Augen vor mir sah, was in jener allerersten Zeit ebenfalls nur mystisches Augenwerk für mich geblieben war. Nun hatte ich Manches erlebt, was in meinem tiefsten Innern unausgesprochen zu einer ernsten Sammlung, zu einer fast verzweiflungsvollen Frage an mein Schicksal und meine Bestimmung mich trieb. Was ich mir nicht auszusprechen wagte, war die Erkenntniß der vollständigen Bodenlosigkeit meiner künstlerischen und bürgerlichen Existenz in einer Lebens- und Berufs-Richtung, in welcher ich mich als Fremdling und durchaus aussichtslos ersehen mußte. Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen suchte, schlug nun dieser Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus. Es ist nicht möglich, daß je das Werk eines Meisters mit solch' verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als wie das meinige vom ersten Satze dieser Symphonie erfaßt wurde. Wer mich vor der aufgeschlagenen Partitur, als ich sie durchging, um die Mittel der Ausführung derselben zu überlegen, überrascht, und mein tobendes Schluchzen und Weinen wahrgenommen hätte, würde allerdings verwunderungsvoll haben fragen können, ob dieß das Benehmen eines königlich sächsischen Kapellmeisters sei! Glücklicherweise blieb ich bei solcher Gelegenheit von Besuchen unserer Orchestervorsteher und ihres würdevollen ersten Kapellmeisters, sowie sonstiger in klassischer Musik bewanderter Herren verschont.
Zuerst entwarf ich nun in Form eines Programmes, wozu mir das nach Gewohnheit zu bestellende Textbuch zum Gesang der Chöre einen schicklichen Anlaß gab, eine Anleitung zum gemächlichen Verständniß des Werkes, um damit – nicht auf die kritische Beurtheilung – sondern rein auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken. Dieses Programm, für welches mir Hauptstellen des Goethe'schen »Faust« eine über Alles wirksame Hülfe leisteten, fand nicht nur zu jener Zeit in Dresden, sondern auch späterhin an anderen Orten erfreuliche Beachtung. Außerdem benutzte ich in anonymer Weise den Dresdener Anzeiger, um durch allerhand kurzbündige und enthusiastische Ergüsse das Publikum auf das, wie man mir ja versichert hatte, bis dahin in Dresden »verrufene« Werk anregend hinzuweisen. Meine Bemühungen, schon nach dieser äußerlichen Seite hin, glückten so vollständig, daß die Einnahme nicht nur in diesem Jahre alle je zuvor gewonnenen übertraf, sondern auch die Orchestervorsteher die darauf folgenden Jahre meines Verbleibens in Dresden regelmäßig dazu benutzten, durch Wieder-Vorführung dieser Symphonie sich der gleichen hohen Einkünfte zu versichern.
Was nun den künstlerischen Theil der Aufführung betraf, so arbeitete ich einer ausdrucksvollen Wiedergebung von Seiten des Orchesters dadurch vor, daß ich Alles, was zur drastischen Deutlichkeit der Vortragsnüancen mich nöthig dünkte, in die Orchesterstimmen selbst aufzeichnete. Namentlich veranlaßte mich die hier übliche doppelte Besetzung der Blasinstrumente zu einem sorgfältig überlegten Gebrauch dieses Vortheils, dessen man sich bei großen Musikaufführungen gewöhnlich nur in dem rohen Sinne bedient, daß die mit » piano « bezeichneten Stellen einfach, die Forte-Stellen dagegen doppelt besetzt vorgetragen werden. In welcher Weise ich auf diese Art für Deutlichkeit der Ausführung sorgte, sei z. B. durch eine Stelle des zweiten Satzes der Symphonie bezeichnet, in welcher, zum ersten Mal in C dur , die sämmtlichen Streichinstrumente in verdreifachter Oktave die rhythmische Hauptfigur, unausgesetzt im Unisono, gewissermaßen als Begleitung zu dem zweiten Thema, welches nur die schwachen Holzblasinstrumente vortragen, spielen: da im ganzen Orchester gleichmäßig » fortissimo « vorgezeichnet ist, so ergiebt sich hieraus bei jeder erdenklichen Aufführung, daß die Melodie der Holzblasinstrumente gegen die immerhin nur begleitenden Streichinstrumente vollständig verschwindet, und so gut wie gar nicht gehört wird. Da mich nun keinerlei Buchstaben-Pietät vermögen konnte, die vom Meister in Wahrheit beabsichtigte Wirkung der gegebenen irrigen Bezeichnung aufzuopfern, so ließ ich hier die Streichinstrumente bis dahin, wo sie wieder abwechselnd mit den Blasinstrumenten die Fortführung des neuen Thema's aufnehmen, statt im wirklichen Fortissimo, mit nur angedeuteter Stärke spielen: das von den verdoppelten
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