Auswahl seiner Schriften
vorführen kann, weil die Bedingungen dafür im öffentlichen Kunstleben der Gegenwart fehlen, und über welche ich mich daher nur Denjenigen verständlichen kann, die mit mir gleich fühlen und empfinden, – kurz: an meine Freunde, die mich lieben .
Nur diese Freunde aber, die vor Allem für den Künstler auch als Menschen Theilnahme empfinden, sind fähig ihn zu verstehen, und zwar nicht nur in der Gegenwart, welche die Verwirklichung der edelsten dichterischen Absichten verwehrt, sondern überhaupt und in allen Fällen. – Das absolute Kunstwerk , das ist: das Kunstwerk, das weder an Ort und Zeit gebunden noch von bestimmten Menschen unter bestimmten Umständen an wiederum bestimmte Menschen dargestellt und von diesen verstanden werden soll, – ist ein vollständiges Unding, ein Schattenbild ästhetischer Gedankenphantasie. Von der Wirklichkeit der Kunstwerke verschiedener Zeiten hat man den Begriff der Kunst abgezogen: um diesem Begriffe eine wieder gedachte Realität zu geben, da man ohnedem ihn sich selbst in Gedanken nicht faßlich vorstellen konnte, hat man ihn mit einem eingebildeten Körper bekleidet, der als absolutes Kunstwerk, eingestandener oder nicht eingestandener Maaßen, das Spukgebild im Hirne unserer ästhetischen Kritiker ausmacht. Wie dieser eingebildete Körper alle Merkmale seiner gedachten sinnlichen Erscheinung nur den wirklichen Eigenschaften der Kunstwerke der Vergangenheit entnimmt, so ist der ästhetische Glaube an ihn auch ein wesentlich konservativer, und die Bethätigung dieses Glaubens daher an sich die vollständigste künstlerische Unfruchtbarkeit. Nur in einer wahrhaft unkünstlerischen Zeit konnte der Glaube an jenes Kunstwerk in den Köpfen – natürlich nicht in den Herzen – der Menschen entstehen. Die Vorstellung von ihm gewahren wir in der Geschichte zuerst zur Zeit der Alexandriner, nach dem Ersterben der griechischen Kunst; zu dem dogmatischen Charakter, den diese Vorstellung aber in unserer Zeit angenommen hat, – zu der Strenge, Hartnäckigkeit und verfolgungssüchtigen Grausamkeit, mit der sie in unserer öffentlichen Kunstkritik auftritt, konnte sie jedoch nur erwachsen, als ihr gegenüber aus dem Leben selbst wieder neue Keime des wirklichen Kunstwerkes entsproßten, deren Eigenschaft jeder gesund fühlende Mensch, ganz erklärlich nur nicht gerade unsere, einzig vom Alten, Ausgelebten lebende Kunstkritik erkennen konnte. Daß die neuen Keime, namentlich auch der Kritik gegenüber, noch nicht zur vollständigen Entfaltung als Blüthe gelangen können, ist es, was ihrer spekulativen Thätigkeit immer neue scheinbare Berechtigung zuführt; denn unter anderen Abstraktionen von den Kunstwerken der Vergangenheit, hat sie sich auch den Begriff von der, dem Kunstwerke nöthigen, Wirklichkeit seiner sinnlichen Erscheinung abgezogen: sie gewahrt nun diese Bedingung, mit deren Erfüllung sie allerdings vollständig aufhören müßte zu existiren, an den Keimen einer neuen lebenvollen Kunst noch nicht erfüllt, und spricht ihnen eben deswegen wiederum die Berechtigung zum Leben, genau genommen also die Berechtigung des Triebes, zur Blüthe der sinnlichen Erscheinungen zu gelangen, ab. Hierdurch geräth die ästhetische Wissenschaft in eine wahrhaft kunstmörderische, bis zur dogmatischen Grausamkeit fanatisirte Thätigkeit, indem sie dem konservativen Wahngebilde eines absoluten Kunstwerkes, das sie aus dem einfachen Grunde nie verwirklicht sehen kann, weil seine Verwirklichung bereits in der Geschichte längst hinter uns liegt, die Wirklichkeit der natürlichen Anlagen zu neuen Kunstwerken mit reaktionärem Eifer aufgeopfert wissen will. Das, was jene Anlagen einzig zur Erfüllung, jene Keime einzig zur Blüthe bringen kann, – Das also, was das ästhetische Wahngebilde des absoluten Kunstwerkes ein- für allemal über den Haufen werfen muß, ist der Gewinn der Bedingungen für die vollkommen entsprechende sinnliche Erscheinung des Kunstwerkes aus und vor dem wirklichen Leben. Das absolute, d. i. unbedingte Kunstwerk, ist, als ein nur gedachtes, natürlich weder an Zeit und Ort noch an bestimmte Umstände gebunden: es kann z. B. vor zweitausend Jahren für die athenische Demokratie gedichtet worden sein, und heute vor dem preußischen Hofe in Potsdam aufgeführt werden; in der Vorstellung unserer Ästhetiker muß es ganz denselben Werth, ganz dieselben wesenhaften Eigenschaften haben, gleichviel ob hier oder dort, heute oder damals: im Gegentheile bildet man sich wohl
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