Auswahl seiner Schriften
gar noch ein, daß es, wie gewisse Weinsorten, durch Ablagerung gewinne und erst heute und hier so recht und ganz verstanden werden könne, weil man ja auch z. B. selbst das demokratische Publikum Athen's sich mit hinzudenken, und an der Kritik dieses gedachten Publikums, sowie des bei ihm vorauszusetzenden Eindruckes vom Kunstwerke, einen unendlich vermehrten Quell der Erkenntnis gewinnen könne. [Fußnote: So wissen auch jetzt unsere litterarischen Müßiggänger sich und ihrem ästhetisch-politisch faulenzenden Lesepublikum keine erquicklichere Unterhaltung zu verschaffen, als nochmals und immer wieder an Shakespeare herumzuschreiben. Sie begreifen allerdings nicht, daß der Shakespeare, den sie mit ihren schwammig-kritischen Saugorganen auszullen, keinen Pfifferling werth ist und höchstens als das Papier zur Ausstellung ihres Armuthszeugnisses taugt, das sie mit so überfließender Wonne sich selbst geben. Der Shakespeare, der uns einzig etwas werth sein kann, ist der immer neu schaffende Dichter, der zu jeder Zeit Das ist, was Shakespeare zu seiner Zeit war.] So erhebend nun dieß Alles für den modernen Menschengeist sein mag, so schlimm steht es dabei nur um die Eigenschaft dieses Kunstgenusses, der natürlich gar nicht vorhanden sein kann, weil ein solcher Genuß nur durch das Gefühl, nicht aber durch den Ungegenwärtiges kombinirenden Verstand zu gewinnen ist. Soll daher, diesem unerquicklichen kritischen Kunstgedankengenusse gegenüber, es zu einem wirklichen Genusse kommen, und ist dieser, der Natur der Kunst gemäß, nur durch das Gefühl zu ermöglichen, so bleibt wohl nichts übrig, als sich an das Kunstwerk zu wenden, welches seiner Eigenschaft nach dem von uns gedachten, monumentalen Kunstwerke gerade so entgegensteht, wie der lebendige Mensch der marmornen Statue.
Diese Eigenschaft des Kunstwerkes besteht aber darin, daß es nach Ort, Zeit und Umständen auf das Schärfste bestimmt sich kundgiebt; daß es daher in seiner lebendigsten Wirkungsfähigkeit gar nicht zur Erscheinung kommen kann, wenn es nicht an einem bestimmten Orte, zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen zur Erscheinung kommt; daß es demnach jede Spur des Monumentalen von sich abstreift.
Die Erkenntniß der Nothwendigkeit dieser Eigenschaft wird uns getrübt, und die auf diese Erkenntniß begründete Forderung für das wirkliche Kunstwerk bleibt somit von uns ungestellt, wenn wir nicht vor allem zum richtigen Verständnisse Dessen gelangen, was wir unter dem Universal-Menschlichen zu fassen haben. Solange wir nicht dazu kommen zu erkennen, und nach jeder Seite hin sinnfällig zu bethätigen, daß das Wesen der menschlichen Gattung eben in der menschlichen Individualität besteht, und dagegen, wie es bisher in Religion und Staat der Fall war, das Wesen der Individualität in die Gattung setzen, folgerichtig es dieser aufopfern, – so lange werden wir auch nicht begreifen, daß das stets voll und ganz Gegenwärtige ein für allemal das ganz oder theilweise Ungegenwärtige, das Monumentale , zu verdrängen habe. In Wahrheit haften wir jetzt mit allen unseren Kunstbegriffen noch so ganz und gar in der Vorstellung des Monumentalen, daß wir Kunstwerken nur in dem Grade Geltung zusprechen zu können glauben, als wir ihnen den monumentalen Charakter beilegen dürfen. Hat diese Ansicht allerdings Berechtigung dem Erzeugnisse der frivolen, nirgends ein wahres menschliches Bedürfniß befriedigenden, Mode gegenüber, so müssen wir doch einsehen, daß sie im Grunde nur eben eine Reaktion des edleren menschlichen Naturschamgefühles gegen die verzerrten Äußerungen der Mode ist, mit dem Aufhören der Wirksamkeit der Mode selbst aber ohne alle weitere Berechtigung, nämlich ohne allen ferneren Grund dastehen müßte. Ein absoluter Respekt vor dem Monumentalen ist gar nicht denkbar: er kann sich in Wahrheit nur auf eine ästhetische Abneigung gegen eine widerliche und unbefriedigende Gegenwart stützen. Gerade dieser Gegenwart siegreich beizukommen hat aber diese Abneigung, sobald sie sich nur als Eifer für das Monumentale kundgiebt, nicht die nöthige Kraft: die höchste Bethätigung dieses Eifers kann am Ende nur darin bestehen, daß das Monumentale selbst zur Mode gemacht wird, wie dieß in Wahrheit heut' zu Tage der Fall ist. Somit kommen wir aber nie aus dem Lebenskreise heraus, dem der edelste Trieb des monumentalen Eifers sich eben zu entziehen strebt, und kein vernünftiger Ausweg ist aus diesem Widerspruche
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